Der Traum von Freiheit
- Querverlag
- Erschienen: September 2019
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Rebcca Lindholm (Übersetzung)
Mädchenhandel und Zaubertricks
Im Jahr 1913 lebt Sofia mit ihren Eltern in Warschau. Arme, rechtschaffene Juden, denen plötzlich das große Glück für ihre Tochter winkt: Der Vater bringt einen jungen Mann aus der Synagoge mit nach Hause, einen ledigen jungen Mann wohlgemerkt, und reich noch dazu, denn Tutsik Goldenberg ist Diamantenhändler. Und er sucht eine Frau, ein jüdisches Mädchen aus der alten Heimat. Er lebt in Buenos Aires, dorthin will er seine Frau mitnehmen. Sofia ist der Fremde unsympathisch, sie will ihn nicht heiraten. Die Eltern aber sehen ein sicheres Leben für ihre Tochter, weit weg vom Antisemitismus in Polen. Sechzehn Jahre sind ein gutes Alter zum Heiraten und Tutsik Goldenberg wird Sofia auf Händen tragen. So findet sich Sofia Knall auf Fall auf einem Schiff wieder, überquert den Atlantik und landet schließlich – immer noch unverheiratet - im Etablissement von Madame Perle, dem vielleicht exklusivsten jüdischen „Schandhojs“ von Buenos Aires. Für das junge Mädchen beginnt eine Leidenszeit, aber auch eine Zeit der Entdeckung eigener Wünsche und Leidenschaften. Bis Tutsik Goldenberg eines Tages den jungen Zauberkünstler Hankus anschleppt, von dem er sich eine goldene Zukunft verspricht. Sofia jedoch durchschaut Hankus sofort. Und sie verliebt sich in ihn.
Fromme „Jiddischkejt“ und kriminelle Energie
„Der Traum von Freiheit“ bietet ein wohl einzigartiges Sujet: Juden in Argentinien agieren in mafiaähnlichen Strukturen, bauen ein kriminelles Netzwerk auf, handeln mit jüdischen Mädchen aus der alten Welt. Diese Mädchen, von den Eltern mit Freuden weggeschickt in der Hoffnung auf ein besseres Leben für die geliebten Kinder, landen im „Schandhojs“ ohne Hoffnung auf Rettung. Von der bürgerlichen jüdischen Gemeinde verachtet führen sie ein Leben außerhalb der Gesellschaft und verlieren alles, was ihnen in ihrem früheren Leben Halt gegeben hat. Sofia, die Skeptikerin, die immer mit einem gewissen Abstand auf die Geschehnisse schaut, schildert ihre Geschichte selbst und berichtet auch über Hankus‘ Leben.
Als jüdisches Mädchen in einem ebensolchen Umfeld berichtet sie in einem authentischen Sprachduktus, verwendet auch viele jiddische Begriffe, die für unkundige Leser jedoch in einem Glossar erklärt werden. Bitterkeit, Ironie, manchmal auch Schwärmerei und Romantik, mischen sich mit einem glasklaren Blick auf die Realität und ziehen den Leser in ihren Bann. So entsteht ein Roman, der mit seiner erzählerischen Finesse in eine Reihe mit den Werken der großen jiddischen Schriftsteller wie Scholejm Alejchem oder Isaak Bashevis Singer gestellt werden darf. Man spürt praktisch in jeder Zeile, dass hier jemand geschrieben hat, der das traditionelle jüdische Leben aus eigener Erfahrung kennt, eine Frau, die sehr genau weiß, wie ihre Protagonisten fühlen und denken würden, wenn es sie tatsächlich gegeben hätte.
Bezaubernde Protagonisten
Sofia und Hankus sind die Hauptfiguren des Romans. Judith Katz jedoch gelingt es, fast allen ihren Protagonisten einen ganz eigenen Charakter zu geben, sie mit so vielen Schattierungen darzustellen, dass es Momente gibt, in denen man sogar einen Tutsik Goldenberg zu verstehen glaubt und ihn am liebsten bedauern möchte. Oder eine Madame Perle, die von religiösem Eifer erfüllt und gleichzeitig die erfolgreichste Puffmutter von Buenos Aires ist. Gelegentlich gerät Sofia als Erzählerin ein bisschen sehr ins Schwärmen, insbesondere, wenn es um Hankus geht. Es sei ihr verziehen, um der jungen Liebe willen. Hankus und Sofia in ihren Gefühlen füreinander sind bezaubernd und ihre Schicksale berühren tief. Ihr Leben in Polen Anfang des 20. Jahrhunderts steht beispielhaft für viele Juden und die Autorin gewährt dem Leser einen tiefen Einblick in Alltagsleben und Traditionen der Ashkenasim, d.h. der Ostjuden. Selbst in Argentinien werden diese Traditionen weiter gelebt, oft zur bloßen Makulatur verkommen in der Welt der Zuhälter und Diebe, aber immer noch Halt für einige der Mädchen. Im Roman bewegt man als Leser sich ganz selbstverständlich mit in dieser Welt, wird sofort mit der ersten Seite in sie hineingezogen und verlässt sie erst wieder, wenn die letzte Seite beendet ist. Die Geschichte ist spannend, mit vielen Höhen und Tiefen, und sie fordert ihren Lesern einiges an Emotionen ab.
Fazit:
Ein großartiges Buch, wie es bisher auf dem deutschen Buchmarkt nicht zu finden war. Das schriftstellerische Können der Autorin ist außergewöhnlich, Plot und Sujet ebenso. Dies zusammen ergibt einen Roman, wie man ihn nur selten in die Hände bekommt! Wer noch kein Geschenk für Chanukka hat, der greife zu! Und wer sich für jüdische Geschichte interessiert, der hat hier einen ganz besonderen Roman, den er sich nicht entgehen lassen sollte.
Judith Katz, Querverlag
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