Juni 53

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  • Erschienen: Dezember 2019
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Jörg Kijanski
801001

Histo-Couch Rezension vonFeb 2020

Nicht nur der Volkszorn entlädt sich

Der Aufbau eines sozialistischen Deutschlands will nicht vorankommen. Vermehrte Zwangskollektivierungen, kaum erfüllbare Normsteigerungen und eklatante Lebensmittelengpässe sorgen für zunehmenden Unmut, vor allem bei den Arbeitern. Wer kann, verlässt das Land. Allein 1952 verdreifachte sich die Zahl der Republikflüchtlinge im Vergleich zum Vorjahr. Die Stimmung wird immer explosiver und entlädt sich beim Volksaufstand am 17. Juni 1953. Die Folgen: Dutzende Tote, ungezählte Verletzte und - teils willkürliche - Massenverhaftungen. Einen Tag später beginnt die Handlung von „Juni 53“, dem bereits fünften Fall für Oberkommissar Max Heller.

Von den schweren Unruhen ist auch der VEB RID, der Volkseigene Betrieb Rohrisolation Dresden, betroffen. Neben schweren Verwüstungen durch die aufgebrachten Arbeiter kommt es anscheinend zu einem Lynchmord, denn der Betriebsleiter Martin Baumgart wird in einem großen Behälter für Glaswolle aufgefunden. Dabei wurde ihm sogar Glaswolle in den Mund geschoben, ein qualvoller Tod war die Folge. Max Heller und sein Partner Werner Oldenbusch sollen ermitteln, sind dabei aber vor Ort auf die Zusammenarbeit mit Hauptmann Bech vom MfS, dem Ministerium für Staatssicherheit, angewiesen.

„Faschisten! Alles Faschisten. Was für eine Erziehung muss sie ihm mitgegeben haben, dass er sich mit diesen faschistischen Verbrechern verbündet, randaliert, zur Konterrevolution aufhetzt? Sie selbst müsste verhaftet werden. Ausmerzen muss man diese Elemente. Faschisten und Sozialdemokraten!“

Neben der Aufklärung des Mordes geht es zudem um das Verschwinden von Gerd Kruppa, der als Funktionär für die Betriebsparteiorganisation arbeitete und plötzlich verschwunden ist. Nutzte er womöglich das Durcheinander aus, um sich in den West abzusetzen? Während Heller und Oldenbusch vor einem Rätsel stehen, ist für Bech die Sachlage klar. Arbeiter, die sich von Agenten des faschistischen Westens haben aufwiegeln lassen, sind für den Aufstand sowie den Mord verantwortlich. Mehrere Mitarbeiter des Werkes werden umgehend verhaftet.

Die Vergangenheit ruht nicht

Durcheinander gibt es in jeder Hinsicht. Die Unruhen und die aggressive Stimmung einerseits, die unklare Situation im Werk andererseits. Missgunst und Neid gab es schon immer bei der RID, von Vergünstigungen an ausgewählte Mitarbeiter ist die Rede, Bilanzen sollen im großen Stil manipuliert worden sein. Vor zwei Jahren gab es zudem ein Gutachten, aus dem hervorging, dass die fliegenden Glasfasern in der Fabrikhalle für schwere Atemwegserkrankungen verantwortlich sind. Einige Mitarbeiter starben an den Folgen, Konsequenzen gab es keine, der Bericht ist nicht mehr auffindbar. Ebenso scheinen die Listen von Mitarbeitern während der Kriegszeit zu fehlen. Zahlreiche Zwangsarbeiter wurden eingesetzt, teils misshandelt, auch hier gab es Todesfälle; schon vor dem verheerenden Luftangriff auf Dresden.

Um Bechs Theorie von Anschlägen des faschistischen Westens aufrechtzuerhalten, kommt es zu Verhaftungen, deren Willkür Max Heller einmal mehr erschreckt. Schon einmal arbeitete er für ein Unrechtsregime, nochmal will er das alles nicht mitmachen. Seine Frau Karin träumt schon lange davon in den Westen zu ziehen, zu ihrem Sohn Ernst, der dort als Rechtsanwalt ein gutes Leben führt. Für die Hellers hingegen gibt es mitunter nicht einmal ausreichend Lebensmittel, ein Auto schon gar nicht, denn Heller weigert sich - wie damals - beharrlich in die Partei einzutreten. So wundert es nicht, dass er bei Beförderungen außen vor bleibt, Oldenbusch mittlerweile ebenfalls zum Oberkommissar befördert wurde. Neben großen Sorgen um seine alte Mitbewohnerin Frau Marquardt, die senil und völlig weltentrückt täglich für Schwierigkeiten sorgt, entgleitet den Hellers auch ihr Sohn Klaus, der als Offizier beim MfS arbeitet und sich ganz dem Kampf für einen glorreichen Sozialismus verschrieben hat.

„Willst du etwa behaupten, unsere Freunde von der heldenhaften Sowjetarmee hätten einfach so auf Unschuldige geschossen? Ist es das, was du sagen willst?“
„Ja … nein … ich hab doch nichts gemacht!“
„Weißt du, was solchen wie dir droht? Acht Jahre Zuchthaus, mindestens, wegen Hetze, Sabotage, Diversion, Angriff auf die Sicherheitsorgane. Schlimmstenfalls kommst du nach Sibirien!“

„Juni 53“ bietet nicht nur einen verwirrenden Fall mit vielen Lösungsmöglichkeiten, sondern auch einen intensiven Einblick in die Methoden des damaligen Unrechtsregimes. Die Methoden gleichen dem Vorgänger, weshalb viele Bürger wütend sind und selbst Heller mitunter Nazimethoden vorwerfen. Angesichts der aktuellen politischen Lage in Deutschland möchte man dieses Buch nicht nur als Krimi empfehlen, sondern als Mahnung, aus der Geschichte doch die richtigen Rückschlüsse zu ziehen. Wohlgemerkt an beiden Rändern des Systems.

Fazit:

Der fünfte Fall von Max Heller ist erneut lebendiger Geschichtsunterricht mit spannendem Krimiplot. Ebenfalls packend ist die Darstellung der Brutalität mit der der MfS willkürlich gegen alle vorgeht, die im Weg stehen. Dass Heller selbst noch im Dienst ist, erscheint einem Wunder zu gleichen. Die Frage, ob er mit Karin und der inzwischen achtjährigen Adoptivtochter Anni in den Westen flieht, steht bis zur letzten Buchseite im Raum. Wer sich für die deutsche Nachkriegsgeschichte interessiert, kommt an dieser Serie kaum vorbei. 

Juni 53

Frank Goldammer, dtv

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