Spiegel und Licht
- DuMont
- Erschienen: März 2020
- 3
Werner Löcher-Lawrence (Übersetzung)
Große Geschichte großartig erzählt
„Der König tut niemals etwas Unangenehmes. Das macht Lord Cromwell für ihn.“
England, 1536: Anne Boleyn, die zweite Ehefrau Heinrichs des VIII., verliert ihren Kopf auf dem Schafott. Der Witwer trauert nicht lange, hat er doch schon zu Lebzeiten seiner Frau bereits eine andere Favoritin, die er kurz darauf ehelicht. Schließlich braucht er einen männlichen Thronfolger, um seine Macht zu festigen.
Thomas Cromwell zieht unterdessen im Hintergrund die Strippen, jongliert mit Intrigen und Menschen. Sein Aufstieg von einem einfachen Handwerkersohn zu einem der mächtigsten Männer Englands ist rasant und scheinbar unaufhaltsam. Sein Fall vier Jahre später tief und unvermeidlich. Das Buch endet wie es beginnt: mit einer Hinrichtung.
Geflüsterte Intrigen und geschmiedete Ränke
Hilary Mantel kann aus dem Vollen schöpfen. Die damalige Zeit hat an Intrigen und Machenschaften, Verbündeten und Heuchlern alles zu bieten. Die höfische Gesellschaft spiegelt eine bunte Schar an Personen wider, deren Komplexität sie anschaulich und detailliert zu erzählen versteht. Das Hauptaugenmerk liegt auf den Charakteren, deren Anzahl so umfangreich ist, dass man aufmerksam lesen muss. Glücklicherweise hilft eine Liste der auftretenden Protagonisten am Ende des Buches.
Zudem ist es unerlässlich, die beiden vorherigen Bände „Wölfe“ und „Falken“ zu kennen, damit die Namen der Figuren sowie die Verbindungen der Personen untereinander besser zu verstehen und zu erkennen sind.
Anspruchsvoller Schreibstil
Obwohl der Roman Thomas Cromwell begleitet, als würde man direkt an seiner Seite stehen und mittendrin alles miterleben, so ist er doch in der dritten Person geschrieben. Die Aussage „er, Thomas Cromwell“ wird öfter verwendet, so dass es bei Dialogen mit mehreren männlichen Protagonisten manchmal etwas verwirrend sein kann. Es dauert ein paar Seiten, bis man sich daran gewöhnt hat, aber bei über 1.000 Seiten insgesamt ist das zu vernachlässigen.
Erfreulich sind die unzähligen Details des damaligen Lebens, zum Beispiel die Zubereitung von Aalen. Auch die Lebensumstände der Menschen werden gut erläutert. Aus den Dialogen heraus lernt man, wie kompliziert die Politik und vor allem die Religiosität mit ihren Verboten und Regeln gewesen ist. Wer durfte wen heiraten, und wofür bedurfte es eine Sondererlaubnis? Die Abspaltung der anglikanischen Kirche ist dabei ein großes Thema.
Krönender Abschluss der Trilogie
Das 16. Jahrhundert war nicht nur in England eine faszinierende Zeit mit noch heute bekannten Menschen, zu denen unter anderem Martin Luther oder Erasmus von Rotterdam gehörten. Diese uns vollkommen fremde Welt ist so gut beschrieben, als würde man selber ein Teil davon sein.
Eine Fülle an kleinen Anekdoten und Geschichten, Erinnerungen und Träumen, Vergleichen und Vorstellungen bieten dem Leser hübsch verpackte Fakten und Fiktion, die nicht blutrünstig, sondern fast schon poetisch erzählt werden.
Fazit:
Wenn man sich an den schwierigen Schreibstil gewöhnt hat, erlebt man eine beeindruckende biographische Erzählung, in der man sich komplett verlieren kann. Hilary Mantel ist ein würdiger Abschluss ihrer Trilogie über einen nicht gerade sympathischen, aber imponierenden Menschen gelungen.
Hilary Mantel, DuMont
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