Der Klavierstimmer Ihrer Majestät

  • C.H. Beck
  • Erschienen: März 2020
  • 0

Barbara Heller (Übersetzung)

Der Klavierstimmer Ihrer Majestät
Der Klavierstimmer Ihrer Majestät
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Carsten Jaehner
891001

Histo-Couch Rezension vonJul 2020

Eintauchen in eine fremde Welt

London, 1886. Edgar Drake bekommt vom Kriegsministerium den Auftrag, in den Dschungel von Birma zu reisen und dort im entlegensten Winkel einen Flügel der Firma Érard zu stimmen, da er als Klavierstimmer sich auf diese Art Klaviere spezialisiert hat. Der Flügel befindet sich in Mae Lwin und gehört dem Militärarzt Dr. Anthony Carroll, der ihn sich ein Jahr zuvor hat unter schwierigsten Bedingungen liefern lassen. Drake willigt ein und beginnt seine Reise Ende November des Jahres.

Die folgenden vier abenteuerlichen Wochen reist er mit der Bahn, mit dem Schiff, wieder mit der Bahn nach Indien und von dort aus dann in den birmesischen Dschungel, im Gepäck sein Werkzeug für die Klavierstimmung, obwohl er nicht genau weiß, was genau ihn dort erwartet und in welchem Zustand sich das Instrument befindet. Immer tiefer taucht er in die für ihn fremde Welt und in die Wesensart der Menschen ein und legt die letzte Etappe zu Pferd zurück, begleitet von einem Führer und einer Dolmetscherin. Vor Ort ist er fasziniert von den Eindrücken und gerät durch den exzentrischen Doktor immer tiefer in die politischen Konflikte der birmesischen Stämme…

Ein Flügel im Dschungel von Birma

Daniel Mason Debütroman aus dem Jahr 2002 erschien unter dem Originaltitel The Piano Tuner, ihm fehlt also der Zusatz des deutschen Titels „Ihrer Majestät“. Das macht durchaus Sinn, denn Ihre Majestät, in diesem Falle Königin Victoria, hat mit dem Roman auch gar nichts zu tun. Edgar Drake ist Klavierstimmer und Reparateur und bekommt aus heiterem Himmel den Auftrag, als Zivilist im Auftrag des Kriegsministeriums, das ihn immerhin königlich entlohnen wird, im tiefsten Dschungel von Birma (heute Myanmar, damals gerade seit dem 01. Januar des Jahres 1886 Teil von Britisch-Indien geworden) einen Flügel der Firma Érard zu stimmen. Dem schüchternen und eigentlich introvertierten Edgar kommt dieses lockende Abenteuer zupass, seine Frau hat auch nichts dagegen, im Gegenteil, in der Trennung kommen die beiden sich wieder näher, da sie sich ja über mehrere Monate nicht sehen werden.

Es beginnt eine Reise über Wasser und Land, mit der Eisenbahn, dem Schiff, mit Kutschen und allem was an sich vorstellen kann, und Mason gibt hier einen interessanten Reisebericht, der sprachlich den Leser vom zivilisierten London immer mehr und immer näher Richtung unbekannte Exotik bringt. Auf der Reise hört er immer wieder faszinierende  Geschichten, mythisch und fantastisch, die ihn auf das zu Erlebende vorbereiten und somit auch den Leser einführen in eine völlig neue Welt. Das ist vom Autor sehr geschickt gemacht, hier wird der Leser abgeholt und wie Edgar in die Welt eingeführt, in der er die nächste Zeit verbringen soll. Edgar lernt in Indien verschiedene Sitten und Gebräuche kennen, als er darauf wartet, dass sein Führer ihn in den birmesischen Dschungel auf die letzte Etappe mitnimmt. Er lernt sogar ein paar Begriffe der unverständlichen Sprache und kann damit natürlich seine Gastgeber begeistern.

Beeindruckende Reisebeschreibung

Es vergeht über die Hälfte des Romans, ehe er in den tiefsten Tiefen des Dschungels endlich in Mae Lwin ankommt, begleitet nur von dem jungen Führer Nok Lek und der Übersetzerin Ma Khin Myo. Wie einst Dr. Livingstone im afrikanischen Dschungel entdeckt wurde, so kommt man sich vor, als nun endlich Dr. Carroll vor einem steht, der sofort den Eindruck macht, sich als Engländer dort vollkommen auszukennen und eine wichtige Schachfigur in den Auseinandersetzungen mit den Shan-Truppen zu sein. Tatsächlich befindet man sich mitten in den sogenannten Shan-Kriegen, man kann sich denken wie das Volk über die Besetzung durch die Briten denkt. Und somit nimmt die Geschichte ihren Lauf, und man hat stets das Gefühl im Hinterkopf, dass der Militärarzt mit Edgar noch irgend etwas anderes im Sinn hat als nur seinen Flügel stimmen zu lassen. Vier Wochen Anreise, zwei Tage Klavier stimmen, vier Wochen Rückreise – das allein kann es ja nicht sein.

Der Arzt, bei dem man nie genau weiß, woran man ist, nutzt zumindest Edgars pianistische Fähigkeiten auf einem Empfang für Militärs mitten im Dschungel, wunderbar beschrieben, wie die Musik von Bach durch den Regenwald erklingt. Das ist auch irgendwie kurios, wie die ganze Ausgangssituation, die im Übrigen nicht auf einem tatsächlichen Ereignis beruht, wie der Autor im interessanten Nachwort mitteilt. Wahr ist tatsächlich der historische Hintergrund mit den Shan-Kriegen, und man merkt dem Autor auch an, dass er tatsächlich ein Jahr vor Ort war um über Malaria zu forschen. Seine Beschreibungen der Reise und des Dschungels sind sehr authentisch, und man mag sich gelegentlich selber ins Gesicht schlagen um lästige Insekten zu vertreiben. Regelmäßig schreibt er seiner Frau, von der Reise und vom Dschungel, wohl wissend, dass die Briefe gerade aus dem Dschungel vielleicht erst nach ihm wieder in London landen werden.

Als Mediziner kennt sich der Autor auch in dem aus, was den meisten Lesern unverständlich bleiben wird, die sich in dieser Thematik nicht so auskennen. Daniel Mason berichtet lebensnah von den Ereignissen im Dschungel und nimmt kein Blatt vor den Mund. Was Wunder, dass Edgar bei all dem nicht nur dem Zauber des Dschungels erliegt – wo man dann schon mal da ist, kann man auch etwas bleiben. Das für viele überraschende Ende sorgt beim Leser für Nachdenken, wem man glauben kann und wem nicht und dass die Wahrheit immer im Auge des Betrachters liegt.

Fazit:

Daniel Masons Debütroman ist ein packender Abenteuerroman nicht nur für Musikfreunde, sondern vor allem für Freunde von Geschichten aus Englands Kolonialzeiten. Fasziniert von der neuen, fremden Welt, die so anders ist als das traditionsreiche, steife London, lässt der Autor den Leser in eine exotische Welt aus Regenwald und aufständischen Einwohnern eintauchen, die alle Sinne fordert und die man tatsächlich schmecken kann. Ein Nachwort, Dankesworte, ein Glossar und eine Karte von Indien und Britisch Birma runden den Roman ab. Beeindruckend.

Der Klavierstimmer Ihrer Majestät

Daniel Mason, C.H. Beck

Der Klavierstimmer Ihrer Majestät

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