Das Erbe der Altendiecks
- Rowohlt
- Erschienen: März 2020
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100 Jahre Familienchronik von Uhrmachern
Der Uhrmacher Johann Altendieck führt im Jahr 1766 die Werkstatt der Familie in Bremen. Er selbst hat das Handwerk von seinem Vater Nicolaus erlernt. Die Familie hat ihr Auskommen. Eines Tages erscheint ein Ratsdiener in der Werkstatt mit der Information, dass die Stadt Bremen an einen ortsansässigen Uhrmacher den Auftrag vergäbe, eine große Uhr für den Rathaussaal zu bauen. Dieser Auftrag ist zudem mit dem angesehenen Posten des Ratsuhrmachers verbunden. Auf Drängen seiner Familie bemüht sich Johann mit seiner Idee um die Stellung und erhält tatsächlich den Zuschlag. Doch ein anderer Uhrmacher kann die Niederlage gegen Johann nicht verwinden.
Die Uhrmacherfamilie Greven missgönnt Johann den Erfolg und greift zu schmutzigen Mitteln um das Altendiecksche Werk zu sabotieren. Das Unheil nimmt seinen Lauf. Eine böse Feindschaft beginnt und der tiefe Fall der Altendiecks ist unaufhaltsam. Ist das Ansehen der Familie noch zu retten?
Auf und Ab einer Familienchronik
Hendrik Lambertus schafft in seinem ersten historischen Roman eine sagenhafte Geschichte um die fiktive Uhrmacherfamilie Altendieck aus Bremen. Als Ausgangspunkt für seinen Roman dienen ihm zwei tatsächlich existierende Gegenstände. Das ist zum einen die große Standuhr im Bremer Rathaus, die aber tatsächlich von Georg Christoph Meybach erschaffen wurde und zum anderen die Tatsache, dass im späten 18. Jahrhundert ein Bremer Uhrmacher ein Seechronometer entwickelt hat und beim Londoner Board of Longitude als Hilfsmittel zur Berechnung der Längengrade vorgestellt hat. Diese beiden realen Begebenheiten hat der Autor in die gleiche Zeitebene verschoben und seiner Familie Altendieck zugeschrieben. Nicht nur hier ist ihm die Verschmelzung von Fiktion und Realität vorbildlich gelungen. Auch im weiteren Verlauf des Romans, der einen Zeitraum von 100 Jahren umfasst, ist die Familiengeschichte nahtlos in die wahre Geschichte Bremens eingefügt.
Vier Teile und teils große Zeitsprünge
Dabei hat der Autor sein umfassendes Werk von über 600 Seiten in vier Teile gegliedert. Jeder Teil steht für eine Generation der Uhrmacherfamilie. Präsent als Hauptprotagonistin zieht sich mehr oder minder immer Gesche Altendieck durch alle Teile. Jeder Abschnitt steht für sich und behandelt schwerpunktmäßig immer ein eigenes Thema. Der erste Teil stellt die Familie vor und lehrt den Leser einiges über das besondere Handwerk der Uhrmacherei. Die Heimtücke, die den Bau der Rathausuhr überschattet, baut einen angenehmen Spannungsbogen auf. In den weiteren Teilen macht der Leser einen Exkurs nach London, erfährt einiges Wissenswerte über die Zustände im belagerten Bremen durch die Truppen von Napoleon und am Ende des Buches erlebt man den Beginn der Industrialisierung. Gewöhnungsbedürftig und minimal störend empfindet man dabei die doch recht großen Zeitsprünge zwischen den Teilen, die meist mehrere Jahrzehnte betragen. Leider enden die einzelnen Teile auch zu abrupt. Wenn man sich gerade richtig ins Geschehen eingelesen hat, wird man unsanft herausgerissen und etliche Jahre nach vorn katapultiert. Die fehlenden Informationen liefert der Autor dann aber zu späteren Zeitpunkten bruchstückhaft und in Rückblicken nach. Jeder neue Teil beginnt mit dem Stammbaum der Familie Altendieck. So sind dem Leser gleich Veränderungen wie Geburten oder Sterbefälle ersichtlich.
Charakter könnten gern etwas Tiefgründigkeit vertragen
Eine sehr zentrale Rolle nimmt Gesche Altendieck ein. Sie ist zu Beginn des Buches noch ein kleines Mädchen und begleitet die Geschichte fast bis zum Ende. Sie ist schon als Kind sehr willensstark. Sie lässt sich von ihrem Großvater Nicolaus in das Handwerk der Uhrmacherei einführen, obwohl es in jener Zeit klar war, dass sie als Frau nie eine Uhrmachermeisterin sein kann. Ihr eiserner Wille hilft ihr, den tiefen Fall der Familie zu stoppen und den Namen Altendieck wieder zu etwas Besonderem zu machen. Das Ansehen der Uhrmacherwerkstatt Altendieck ist alles was zählt. Diesen Grundsatz verfolgt sie verbissen ihr Leben lang und sie steckt dafür auch eigene Ansprüche an ihr Leben zurück. Sie wirkt dadurch sehr hart und ohne Gefühle.
Insgesamt bleibt die Beschreibung der Charaktere eher oberflächlich. Es hätte gern etwas mehr Tiefgang sein dürfen, wenn es um das Familienleben der Protagonistenfamilie geht, zum Beispiel wie es Gesche als junger Ehefrau ergangen ist. Da nähere Beschreibungen der Gefühlswelt der Protagonisten fehlen, fehlt dem Leser auch eine gewisse Nähe zu diesen. Somit kann man für keinen besondere Sympathien oder Antipathien entwickeln.
Passender Schreibstil und stimmiges Cover runden das Werk ab
Der Schreibstil des Autors ist angenehm zu lesen. Zu Anfang gibt er sehr authentisch die "schnörkelige" Sprache der damaligen Zeit wieder. Das bedarf am Anfang etwas Gewöhnung. Es passt aber genauso gut zum Roman wie die kurzen plattdeutschen Einwürfe, um das Geschehen authentisch in der damaligen Zeit im Norden Deutschlands darzustellen. Um immer wieder die Assoziation zur Uhrmacherei herzustellen wird mehr als einmal der Begriff "sein Körper ist gespannt wie eine Feder" verwendet.
Diese Harmonie wird durch ein wunderschönes Coverbild, das den historischen Bremer Rathausplatz zeigt, abgerundet. Das aus vier Teilen bestehende Werk wird durch einen informativen Epilog aus dem Jahr 1848 beendet. Im Anschluss findet der Leser einen sehr ausführlichen Anhang bestehend aus einem zeitgenössischen Personenregister und allgemeinen Worterklärungen sowie speziellen Erklärungen bezogen auf das Uhrmacherhandwerk
Fazit:
Ein imposantes Werk, das aufgrund der Geschichte gut und gerne Potential für einen Mehrteiler gehabt hätte. Man erfährt viel Wissenswertes zu den verschiedensten Themen, sei es die Uhrmacherei oder einzelne Ereignisse in der Bremer Geschichte. Beeindruckend wird dem Leser vermittelt, dass früher eine eigene Uhr im Haushalt ein gewisses Statussymbol war und bei keinem gut gestellten Bürger und Kaufmann fehlen durfte. Durch den Wandel der Zeit ändert sich auch diese Tatsache. Der Roman ist zu keinem Zeitpunkt langweilig. Man muss sich eben nur an die Zeitsprünge gewöhnen.
Hendrik Lambertus, Rowohlt
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