Die Tanzenden
- Piper
- Erschienen: Juli 2020
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Julia Schoch (Übersetzung)
Entsorgung von unliebsamen Frauen
Die junge Tochter aus gutem Haus, Eugénie, ist mit der Rolle, die ihr der Vater zugedacht hat, nicht zufrieden. Sie möchte dieselben Möglichkeiten haben wie ihr Bruder. Ihr wacher Geist missfällt dem Patriarchen jedoch. Als Eugénie Geister-Erscheinungen hat, sieht er den Moment gekommen, sie in die Salpêtrière einzuweisen. In diesem Krankenhaus werden Frauen allen Alters eingesperrt, die den gesellschaftlichen Normen nicht entsprechen. In der Salpêtrière begegnet Eugénie der jungen Louise, die hofft, durch ihre Liaison mit einem jungen Arzt dem Irrenhaus entkommen zu können. Betreut werden die Frauen unter anderem von der strengen Aufseherin Geneviève, die sich längst abgewöhnt hat, für die verzweifelten Frauen Gefühle zu entwickeln. Erst die Begegnung mit Eugénie bricht die verschlossenen Gefühle von Geneviève auf.
Faszinierende Persönlichkeiten
In ihrem Roman „Die Tanzenden“ stellt die junge Autorin Victoria Mas eine ganze Reihe von faszinierenden Persönlichkeiten vor. Sie skizziert die verschiedenen Charaktere und macht nach und nach sichtbar, weshalb sich die jeweiligen Frauen an der Stelle befinden, an der sie jetzt sind. Obwohl Eugénie und Louise Hauptfiguren des Romans sind, dreht sich die Geschichte doch sehr stark um die gesamte Gruppe von Frauen, die in der Salpêtrière von ihren Angehörigen quasi entsorgt worden sind. Obwohl im ausgehenden 19. Jahrhundert einige der früheren Massnahmen nicht mehr angewendet werden, ist das Leben in der Anstalt für die Betroffenen bedrückend und belastend. Das Bild, das Victoria Mas hier zeichnet, ist schnörkellos direkt, ohne jedoch auf schreierische Art Grauen zu erzeugen. Das Zusammenspiel der einzelnen Persönlichkeiten macht schliesslich den eigentlichen Reiz des Romans aus.
Stark in den Bereich Mystery
Während es sich bei Louises Zuständen um eine medizinisch und psychologisch nachvollziehbare Reaktion auf schlimme Erlebnisse handelt, sieht die Lage bei Eugénie anders aus. Durch ihre Fähigkeit, Geister zu sehen und mit ihnen zu kommunizieren gilt sie als verrückt. Hier taucht die Autorin tief in den Bereich Mystery ein, eventuell gar eine Spur zu tief. Diese Erscheinungen nehmen schnell einen wesentlichen Teil der Geschichte ein und drängen die anderen Schicksale etwas an den Rand. Dennoch bleibt die Geschichte an sich stimmig und ist süffig zu lesen. So sehr, dass man das Buch kaum aus den Händen legen mag.
Fazit:
Mit dem Roman „Die Tanzenden“ kommt die französische Autorin Vicotria Mas auf ein Thema zu sprechen, das noch heute auf Aufarbeitung wartet: Die „Entsorgung“ von unbequemen weiblichen Verwandten durch Einlieferung in die Anstalt. Mit einfachen, aber wirkungsvollen Worten entführt Victoria Mas in eine vergangene Zeit und in unrühmliche Themen. Auch ihre starke Anlehnung an die Welt der Geister ist letztlich eine stimmige Komponente eines beeindruckenden Romans.
Victoria Mas, Piper
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