Quell des Lebens

  • Residenz
  • Erschienen: Juni 2021
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Quell des Lebens
Quell des Lebens
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Carsten Jaehner
851001

Histo-Couch Rezension vonJun 2021

Wie man ein verständnisloses Volk umsiedelt

Dass im Jahr 1783 auf Island ein Vulkan ausbricht, ist erst einmal nichts Besonderes. Doch als sich dieses Mal im Osten der Insel in der Nähe des Gletschers Vatnajökull die Erde auftut, bricht eine selbst für isländische Verhältnisse riesige Katastrophe herauf: Über fast ein Jahr speit die Erde Feuer, gewaltige Fluten überschwemmen die Insel, der Fischfang fällt völlig aus, Großteile des Viehs sterben, durch Grasmangel verenden weitere Tiere, Krankheiten machen sich epidemisch auf der Insel breit und raffen große Teile der weit verstreuten Bevölkerung dahin. Zu dieser Zeit gehört Island zu Dänemark, und aufgrund dieser Katastrophe beschließt der dänische König Christian VII., die Bevölkerung von Island nach Dänemark abzusiedeln.

So wird der junge Wissenschaftler Magnús Aurelius Egede vom Kammerherrn Levetzow nach Island entsandt, um die Bevölkerung darauf vorzubereiten und die Umsetzung des Plans einzuleiten. Und wo er gerade da wäre und wenn Zeit bliebe, könne er auch gleich die bislang ungenaue Breitengradmessung der Region vornehmen, einen genauen Sextanten hierfür gibt es gleich mit ins Handgepäck. So macht er sich denn auf den Weg, vor allem die Region der Westfjorde im Nordwesten Islands zu besuchen, die am schwächsten besiedelt ist und daher am schwierigsten erreichbar. Unterwegs, mit wechselnden Führern, lernt er so einige besondere Exemplare der isländischen Bevölkerung und deren Gebräuche und Sitten kennen. Doch was ihn vor allem erstaunt, ist, dass sich diese Leute nicht freuen, umgesiedelt zu werden, sondern treu und schicksalsergeben dort bleiben wollen, wo sie leben. Sie kennen es nicht anders, warum sollten sie etwas anderes wollen, das sie nicht kennen?

Je weiter er Richtung Norden kommt, desto besser versteht er die Isländer. Er vermisst weiter die Landstriche und macht seine Arbeit, versteht aber immer weniger, warum er sie macht, da die isländische Denkweise ihm immer mehr nahe geht. Als er sich in das stumme Mädchen Sesselja verliebt und er von einem Eisbären lebensgefährlich verletzt wird, macht sich Sesselja auf den Weg zur Quelle des Lebens, um dort Wasser zu holen, das allein Magnus retten kann. Doch der Weg ist gefährlich, sie ist allein, das Wetter schlecht und die Zeit läuft Magnus davon, denn er soll zumindest so wiederhergestellt sein, dass er transportabel ist und das nächste Schiff nach Dänemark kriegen kann. Ein Wettlauf mit der Zeit und gegen die Insel und das Wetter beginnt.

Der Leser wird zum Isländer

Bergsveinn Birgissons Roman „Quell des Lebens“ entfaltet schnell eine gewisse Poesie, nachdem der Protagonist erst einmal auf die Insel geschickt wurde, um die verständnislosen Einwohner über die Umsiedelung zu informieren und das Land zu vermessen. Schnell taucht der Leser in das Gebaren der Insulaner ein, die nicht verstehen, warum sie Island verlassen sollen. Damit hat Magnus nicht gerechnet, und doch zeigt es den Charakter der Isländer: Wir laufen nicht davon, wir leben von und mit der Natur und alles andere sind fremde Gedankengänge, auf die sie nicht von allein gekommen wären.

Magnus Egede bezahlt ortskundige Begleiter, die ihn durch die karge Landschaft führen, die aber dennoch zu verhandeln verstehen. Ob sie ihn immer den geraden Weg geleiten, ist fraglich. Birgisson zeichnet ein knorriges Bild der Isländer, mal mit Humor, mal mit einem Verständnis, das nur Isländer von sich und dem Leben haben können. Magnus merkt irgendwann, dass er irgendwie seinen Auftrag vergisst, doch er ist pflichtbewusst, schreibt weiter seine Briefe an den Kammerherrn Levetzow, in denen er Bericht erstattet und seine Gedankengänge zusammenfasst. Diese Briefe sind in kursivem Druckbild vom Rest des Buches abgesetzt und malen ein authentisches Bild Islands, der Leser wird hier selbst zum Insulaner und steht auf der Seite der Isländer.

Wuchtige Beschreibungen

Brigissons Beschreibungen von Landschaft, Natur, dem isländischen Wesen an sich, sind sehr poetisch und intensiv, trotzdem humorvoll und ironisch, hinzu kommen Mythen und die alten Sagen; je nördlicher Magnus kommt, desto tiefer steigt er auch in die Geschichte der Insel ein. Sprachlich ist das nicht immer einfach zu fassen, aber das Gesamtbild am Ende ist ein authentisches, das den Leser staunen und mitfiebern lässt.

Dass die im Klappentext erwähnte Liebesgeschichte erst im letzten Drittel des Buches auf Magnus kommt, ist vielleicht etwas spät, passt aber in den Roman, in dem man von Seite zu Seite immer mehr versinkt, ohne recht zu wissen, warum, und vor allem, wie man am Ende wieder herauskommt. Und dass der Titel mehrere Bedeutungen im Roman hat, versteht sich da fast von selbst.

Fazit:

„Quell des Lebens“ ist ein sprachgewaltiges, poetisches Buch mit viel Historischem Hintergrund und einer kuriosen Geschichte, die den Leser unwillkürlich in sich hineinzieht, ohne dass man es wirklich mitbekommt. Der Roman ist nicht sehr temporeich, aber das macht er durch seine Intensität wett. Nicht nur für Island-Fans geeignet, sondern auch für Freunde von Historischen Romanen allgemein. Wuchtig!

Quell des Lebens

Bergsveinn Birgisson, Residenz

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