An dunklen Wassern
- Droemer-Knaur
- Erschienen: Mai 2022
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Eine eigene Existenz aufgebaut, aber die Vergangenheit gibt keine Ruhe
Alinor und ihre Tochter Alys haben nach ihrer Flucht aus Sussex ein Zuhause in London gefunden. Hier, an den Ufern der Themse, bewirtschaften sie ein kleines Lagerhaus. Ihr Ruf ist tadellos und das Einkommen reicht, um über die Runden zu kommen. Die Ereignisse einundzwanzig Jahre zuvor sind nicht vergessen, aber im Lauf der Zeit etwas verblasst. Als eines Tages gleich zwei Überraschungsgäste auftauchen – James Avery und Robs Witwe, Livia, mit ihrem Sohn – gerät das Leben von Alinor und Alys erneut aus den Fugen.
Die Venezianerin Livia überbringt Alinor die tragische Nachricht vom Tod ihres Sohnes Rob. Er soll in der Lagune von Venedig ertrunken sein. Livia hofft, bei der Familie ihres Gatten Unterschlupf zu finden. Sie hat sich jedoch in einer Sache getäuscht: Statt einer reichen Kaufmannfamilie erwarten sie eher bescheidene Verhältnisse. Sofort versucht Livia das Beste aus der Situation zu machen und drängt sich Sir James Avery auf. James hingegen hat Alinor gesucht, um den gemeinsamen Sohn zu holen und zu seinem Erben zu machen. Allerdings hat er nicht mit ihrem vehementen Widerstand gerechnet. Er lässt sich von Livia umgarnen, in der Hoffnung, seine Mitschuld am Unglück von Alinor tilgen zu können. Dieses Ansinnen misslingt. Alinor distanziert sich von ihm. Sie stellt die Glaubwürdigkeit Livias in Frage und zweifelt an Robs Tod. Ihre Enkelin Sarah soll auf ihren Wunsch nach Venedig reisen und Nachforschungen betreiben.
«Sie verhält sich in allen Dingen, als wäre sie eine Frau von Welt und wüsste, wie es läuft, aber in Wahrheit weiss sie nichts. Sie weiss über Geld Bescheid, aber nichts über Wert. Sie weiss alles über Profit und nichts über Liebe.» (Quelle: Roman)
Unter Gleichgestellten ein neues Leben ohne Herren beginnen
Nach den Ereignissen in Sussex, als seine Schwester als Hexe der Wasserprobe unterzogen wurde, hat Ned in Neu-England eine neue Heimat gefunden. Er versucht, sich ein eigenständiges Leben als Fährmann aufzubauen und dient als Vermittler zwischen den Ureinwohnern und den Siedlern. Doch die Reibereien zwischen den beiden ungleichen Völkern nimmt stetig zu.
«Wir alle, die wir zwischen den Welten gelebt haben, werden uns entscheiden müssen», sagte Wussausmon. «Ihr seid hier ganz am Rand, Nippe Sannup, zwischen Wasser und Land, zwischen Stammesgebiet und englischem Dorf, zwischen der einen Welt und der anderen. Ihr werdet Euch entscheiden müssen.» (Quelle: Roman)
Der zweite Band der Fairmile-Trilogie spielt an drei verschiedenen Schauplätzen. In London dreht sich alles um Alinor, Alys und ihre kleine Familie. Hier beschreibt die Autorin anschaulich das beschwerliche Leben und die harte Arbeit an den Anlegestellen der Themse. Gleichzeitig beschreibt sie die herrschenden Klassenunterschiede und wechselt von einem zum anderen Themseufer: von der Arbeiterklasse zur englischen Oberschicht. Das ist wunderbar ausgearbeitet. Parallel dazu erzählt sie aus Neds Leben in Neu-England. Dort haben sich die Siedler ausgebreitet und es bahnen sich die ersten ernsthaften Konflikte zwischen den Ureinwohnern und ihren Besetzern an. Diese Kapitel sind äusserst gewissenhaft recherchiert und fliessen als belegte historische Elemente in die Geschichte ein. Faszinierend und erschütternd zugleich.
Etwas zäh gestalten sich hingegen die Episoden rund um Livia. Ihr Charakter ist durchdacht und man erkennt schon bald ihr wahres Wesen und ihre Ambitionen. Dennoch: diese Teile hätten ruhig kürzer ausfallen dürfen. Sie hätten trotzdem ihre Wirkung entfaltet. Der erste Teil des Romans zieht sich deshalb etwas hin. Ab seiner Mitte nimmt die Spannung eindeutig zu und endet kreativ.
Fazit
Vor allem die Passagen, die in Neu-England spielen, sind sehr interessant, faszinierend, aber auch erschütternd. In London hingegen steigt kontinuierlich die Spannung, wenn die venezianische Witwe Alinor und ihre Familie zu umgarnen versucht. Eine unterhaltsame und zum Ende hin hochspannende Geschichte, die die teilweise langatmigen Passagen vergessen lässt.
Philippa Gregory, Droemer-Knaur
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