Der siebte Kreuzzug
- Goldmann
- Erschienen: April 2023
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Historischer Roman im besten Sinne
Vorweg: Der Kreuzzug um den es geht wird in der deutschsprachigen Forschung meist als der sechste gezählt.
1249/50: Louis IX. von Frankreich fällt in Ägypten ein, um von dort Jerusalem zurückzuerobern. Inmitten einer äußerst blutigen Schlacht kommt sein Beichtvater, der Inquisitor Yves le Breton, durch Zufall auf die Spur eines von den Tempelrittern erbeuteten antiken Dokuments, das angeblich für Christentum und Islam gleichermaßen bedeutsam ist. Yves beginnt nachzuforschen, doch der undurchsichtige Templerführer Renaud de Vichiers setzt alles daran, den Fund außer Landes zu schaffen. Auch Umberto di Fondi, Geheimagent des mit den Muslimen paktierenden Kaisers Friedrich II., ist auf der Suche nach dem Schriftstück, unterstützt vom Mameluckenoffizier Baibars; allerdings müssen diese beiden zunächst die Machtkämpfe um die Nachfolge des Sultans überstehen, in denen dessen Witwe Shajar al-Durr eine Schlüsselrolle spielt. Und was hat eigentlich die Rückblende ins Alte Rom mit alledem zu tun?
Mindestens vier Geschichten in einer
Ein komplizierter Plot, und aus der Masse an Personen und Handlungssträngen hätte man mindestens vier Romane machen können - es ist aber nur der (in sich abgeschlossene) Auftakt einer Trilogie. Dabei sind die einzelnen Bestandteile wenig originell; ein mittelalterlicher Mönch, der einen verschollenen Text sucht, die Templer als Hüter geheimen Wissens, das gabs schon mal irgendwo. Auch Quo vadis und Dostojewskis Großinquisitor lassen grüßen. Dennoch: Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile. Tatsächlich haben wir es hier mit einem kleinen Meisterwerk zu tun. Man liest selten einen Roman, in dem die mittelalterliche Mentalität mit ihrem Neben- oder besser Ineinander von Religiosität und Grausamkeit so ungeschönt dargestellt wird und der Autor so konsequent darauf verzichtet, den Figuren mit moderner Moral zu Leibe zu rücken. Das macht das Buch zu einem historischen Roman im besten Sinne, statt nur zu einem Roman vor historischer Kulisse. Die Charaktere in "Gut" und "Böse" einzuteilen ist nicht möglich, alle Beteiligten der Jagd nach dem Dokument gehen über Leichen, haben dafür aus ihrer Sicht aber gute Gründe, die der Autor - hauptberuflich Strafverteidiger - psychologisch plausibel macht. Das Geheimnis um das sich alles dreht bleibt lange im Dunkeln, am Ende entpuppt es sich natürlich als fiktiv, aber überraschend stimmig konstruiert. Der Autor wechselt behende, oft mehrfach im Kapitel, zwischen Perspektiven, Schauplätzen und Zeitebenen; er beherrscht die hohe Kunst, mit wenigen Strichen ein überzeugendes Charakterbild zu zeichnen und lässt dies auch Randfiguren zugute kommen. Das macht das Buch anfangs etwas unübersichtlich, aber auch bis kurz vor Schluss unberechenbar. Und selbst der Epilog birgt Überraschungen.
Schönheitsfehler
Vorkenntnisse sind hilfreich: Der Autor schwelgt mit sichtlichem Vergnügen in arabischen, französischen, römischen und anderen Namen und Vokabeln, die im Glossar nicht alle erklärt werden (und nicht alle ganz korrekt) und bei denen ihm oder der Übersetzerin auch Verwechslungen unterlaufen. Das ist ärgerlich, allerdings nur die Spitze eines Eisbergs. Gerade heraus: Dieses Buch ist schlecht übersetzt und schlecht lektoriert. Nicht nur, dass mit "Panzerhemd" meistens der über dem Panzerhemd getragene Waffenrock mit dem Wappen gemeint zu sein scheint und immer wieder die Grammatik holpert ("Er ließ ihn die Fackel fallen lassen..."), an mehreren Stellen ist aus dem Kontext klar, dass die Übersetzung die Aussage ins Gegenteil verkehrt hat.
Allerdings macht auch der Autor kleinere Fehler, von denen wenigstens einer peinlich ist: Inkunabeln ("Wiegendrucke") ist eine moderne Bezeichnung für Bücher, die im fünfzehnten Jahrhundert, in den ersten Jahrzehnten nach Gutenberg, gedruckt wurden. Anno 1250 haben sie nichts verloren, nicht einmal in einer Templerschatzkammer.
Fazit
Dieses Buch muss vor der nächsten Auflage noch mal ins Lektorat und gründlich überholt werden. Aber davon sollte man sich nicht abschrecken lassen.
Es ist ein Roman mit doppeltem Boden: zum einen ein spannender, gut recherchierter Historienthriller, zum anderen, nicht weniger spannend, eine Meditation ohne fertige Antworten über zeitlose Themen: das Schicksal "kleiner Leute" in der "großen Geschichte", die Grenze zwischen Religion und Fanatismus und wie beides machtpolitisch instrumentalisiert wird sowie die Eigendynamik von Gemeinschaften in denen der Korpsgeist über allem steht. Im Zeitalter der identitären Filterblasen ist das ein Thema, über das es immer lohnt nachzudenken.
Luigi Panella, Goldmann
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