Das war der wilde Westen
- Heyne
- Erschienen: Januar 2019
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Grandioses Spektakel unter Ausschluss hässlicher Fakten.
In fünf Kapiteln wird der Zug von Siedlern, Glücksrittern und Gaunern in den Westen und die Entstehung der USA thematisiert:
- Erster Teil; Die Flüsse: In den 1830er Jahren drängen Siedler von der US-Ostküste in den noch unerschlossenen Westen. Unter ihnen sind die Prescotts, die unerfahren an Flusspiraten geraten. Der Trapper Linus Rawlings rettet die Familie, doch kurz darauf kommt es zur Katastrophe.
- Zweiter Teil; Die Ebene: Zehn Jahre später schließt sich Lilith Prescott einer Wagenkolonne nach Kalifornien an, wo sie eine Goldmine geerbt hat. Der Spieler Cleve van Valen will sie eigentlich um ihr Geld bringen, verliebt sich aber in Lilith und hilft dem Treck gegen angreifende Indianer.
- Dritter Teil; Der Krieg: Linus Rawlings’ Sohn Zeb kämpft im Amerikanischen Bürgerkrieg (1861-1865) auf der Seite des Nordens und kann die Generäle Grant und Sherman vor einem Attentat retten.
- Vierter Teil; Das Dampfross: Im Dienst der Armee versucht Zeb Rawlings in den 1860er Jahren die Arbeiter einer transkontinentalen Eisenbahnlinie zu schützen, nachdem Mike King, der Chef, skrupellos gegen Verträge mit lokalen Indianerstämmen verstoßen hat.
- Fünfter Teil; Die Gesetzlosen: Zeb Rawlings, 1883 ein Marshal, will für seine Tante Lilith deren Farm in Arizona führen, muss sich aber zuvor mit einer Räuberbande auseinandersetzen, die sein alter, rachsüchtiger Feind Charlie Gant anführt.
Als der Mythos noch gefeiert werden durfte
„Das war der Wilde Westen“ ist ein bizarres Werk und zunächst Zeugnis eines Kinos, das im Kampf gegen das verhasste Fernsehen noch einmal sämtliche Muskeln spielen ließ. 1962 entstand ein Film-Monster, das buchstäblich die Leinwand sprengte: „Das war der Wilde Westen“ wurde im „Cinerama“-Format gedreht und musste durch drei sorgfältig justierte Projektoren auf eine gewölbte Leinwand geworfen werden. Das Ergebnis war durchaus atemberaubend, doch nur wenige Kinos konnten die erforderliche Technik bieten. Jede Projektion jenseits des „Cinerama“-Formats führte zu hässlichen Verzerrungen bzw. einer deutlichen Dreiteilung des Bilds, was eine ‚Weiterverwertung‘ erschwerte: „Cinerama“ war - im Rückblick ist es keine Überraschung - eine Totgeburt.
1962 wurde „Das war der Wilde Westen“ jedoch mit einer cineastischen Gewalt realisiert, die ebenso gnadenlos wie verzweifelt wirkte. Das Budget war gewaltig, praktisch jeder Schauspieler, der im Western-Genre Rang und Namen hatte, trat vor die Kamera. Vier Meisterregisseure inszenierten das Spektakel, das mehr als zweieinhalb Stunden tobte und auch die Ohren dröhnen ließ; bereits die Titelmelodie war nicht einfach Musik, sondern eine Hymne, die aus unzähligen Kehlen und Lautsprechern drang.
Nicht grundlos wurde nicht eine, sondern die Geschichte des Wilden Westens erzählt. Er stellte in der Vorstellung der meisten Zeitgenossen jene Phase dar, in der die USA zu einem Land zusammenwuchsen, was den Aufstieg zur Weltmacht ermöglicht hatte. Gefeiert wurde die Energie einer Landgewinnung, die ungeachtet sämtlicher Gefahren und Rückschläge dafür sorgte, dass die USA binnen weniger Jahrzehnte die gewaltige Leere zwischen Ost- und Westküste Nordamerikas füllten.
Auf den Knochen der Vergangenheit
Selbstverständlich entstand ein „Roman zum Film“, und da Geld keine Rolle spielte, wurde ein ‚richtiger‘ Schriftsteller angeheuert, der als Großmeister des Genres galt. Louis L’Amour (1908-1988) orientierte sich an einem Drehbuch der Veteranen Jack R. Webb und John Gay, das er dort gekonnt mit Handlung und Profil-Figuren unterfütterte, wo der Film Lücken mit Bild- und Tonkraft übertünchte. Dies gilt u. a. für die wahrlich apokalyptische Bildsprache, mit der John Ford den Bürgerkrieg in Szene setzte, aber auch die grandios umgesetzte Stampede einer Bisonherde, die eine Eisenbahner-Siedlung buchstäblich ausradiert, oder den finalen Shoot-Out, der dynamisch auf den Waggons einer fahrenden Lokomotive stattfindet und immer noch atemberaubende Stunts bietet.
Vor allem blies L’Amour jedoch in jenes Horn, dessen Melodie heute zumindest ‚politisch korrekt‘ geprägte Ohren zucken lässt. Aus voller Kehle erklang das Loblied des fleißigen, redlichen, genügsamen durch Rückschläge höchstens in seiner (und ihrer) Widerstandskraft bestärkten Siedlers, der fruchtbares, bisher ‚wertloses‘, weil weder landwirtschaftlich noch industriell genutztes Land seiner von Gott vorgesehenen Nutzen zuführte.
Dass dieses Land bereits besiedelt war, spielte in diesem Weltbild keine Rolle. „Indianer“ waren noch keine „indigenen Amerikaner“, ihre Rechte wurden nachträglich weiterhin mit Füßen getreten. Leise Kritik an der gnadenlosen Verdrängung, zwangsweisen Umsiedlung und Ausrottung klingt zwar in der Episode „Das Dampfross“ an, wenn wieder einmal ‚ewige‘ Verträge von weißer Seite gebrochen werden. Doch dies sind individuelle Fehlleistungen, während die Rolle einer Regierung, die solchen Missbrauch aktiv förderte, ebenso wie die Verschmutzung und Zerstörung einer intakten Ökologie völlig ohne Erwähnung bleibt.
Die unwiderstehliche Wucht des Neubeginns
Über allem liegt die unbändige Kraft des Siedelns, die sich nicht eindämmen oder kontrollieren lässt. Für L’Amour gibt es keine Möglichkeit, sich dieser Flut in den Weg zu stellen. Siedler mögen wie die meisten Prescotts auf ihrem Zug in der Wildnis sterben, von ‚Wilden‘ attackiert oder betrügerischen (= unpatriotischen, verdammenswerten und zweifelhaft ‚zivilisierten‘) Mitmenschen übervorteilt werden und sterben; später fordert der Bürgerkrieg seine Opfer. Doch nur das Individuum stirbt, während die Siedler als Gemeinschaft überleben: Diverse Hauptfiguren bleiben auf der Strecke, doch als der Wilde Westen allmählich zahm wird, können die Überlebenden die Früchte ernten, die ihre Vorfahren gesät haben.
In einem Punkt wirkt dieses Garn modern: Für ‚schwache‘ Frauen ist kein Platz in diesem Westen. Mit Emanzipation hat dies freilich nichts zu tun. Im Vordergrund steht ein biologischer Impetus: Wir können nur bestehen, indem wir uns zusammentun und möglichst viele Kinder zeugen, um zu erwartende ‚Ausfälle‘ auszugleichen! Liebe ist in diesem Umfeld ein Luxus und muss sich den realen Erfordernissen beugen. Das Wort eines Mannes und die Solidarität der Gruppe stehen höher im Wert, weil ohne sie niemand existieren kann. L’Amour thematisiert dies immer wieder in Szenen, die Trapper und Siedler mit ‚Stadtmenschen‘ konfrontieren: Die ‚Zivilisation‘ hat die ursprünglichen menschlichen Werte verdrängt. In einer Wildnis, die keine Fehler verzeiht, kommen sie wieder zur Geltung - ein Vorgang, den der Verfasser gutheißt.
Man gewinnt oder verliert, aber man klagt nicht, sondern versucht es abermals. Der Westen gibt denen eine Chance, die wieder aufstehen. Zeb Rawlings, aber noch stärker seine Tante Lilith Prescott halten sich an diese Devise. So ist es kein Wunder, dass sie den Wilden Westen überleben und (singend) in eine neue, nun ruhigere Ära aufbrechen. Bis es soweit ist, spart L’Amour nie an Pathos, weiß aber diese Werte als plausibel in ihrem besonderen Umfeld darzustellen. „Das war der Wilde Westen“ ist als Film ein Event. Der Roman stellt die Figuren in den Vordergrund. L’Amour verdichtet, ergänzt oder streicht, wo es gar zu spektakulär = leinwandaffin zugeht. Das nimmt seinem Werk nicht die heute oft schwer zu ertragende Verklärung einer fragwürdigen Vergangenheit. Dies war jedoch nie Zweck dieser Geschichte, die deshalb natürlich auch keine historische Relevanz beanspruchen kann (oder will), sondern einen Mythos zelebriert - und auf dieser Ebene geht die Rechnung auf!
Fazit
Der Roman zu einem Film, der als Spektakel alle Register zieht, den das zeitgenössische Kino zu bieten hat, konzentriert sich auf die Figuren, da er die Wucht von Bild und Ton literarisch nicht widerspiegeln kann. Das Ergebnis ist kein ‚typisches‘ Western-Garn, sondern die verbrämte Geschichte einer Ära, die so nie stattgefunden und sich als Mythos selbstständig gemacht hat.
Louis L'Amour, Heyne
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