Einen Herbst und einen Winter lang
- Tinte & Feder
- Erschienen: Juni 2023
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Sind soziale Klassenunterschiede überwindbar?
Isa, ihre Mutter und ihr Bruder Moritz leben in Berlins Scheunenviertel. Nach einem Arbeitsunfall hat der Vater seine Stelle in einer Maschinenfabrik verloren. Die Scham veranlasst ihn, seine Familie zu verlassen. Das Geld ist mehr als knapp, so dass Isas Mutter zwei Jobs annehmen muss. Einzig der Gewitztheit des Nachbarjungen Viktor ist es zu verdanken, dass Isa und Moritz, wenn auch nicht legal, zum Einkommen etwas beisteuern können. Er wird zum Beschützer der beiden Kinder.
Bettelkinder
Viktor weiss aus eigener Erfahrung um die Not von Isa und ihrer Familie. Als gewiefter Fuchs auf Berlins Straßen verdient er den Unterhalt für sich und seine Mutter mit Taschendiebstahl. Unter seinen Fittichen lernen Isa und Moritz, sich auf den Straßen Berlins zu bewegen. Zu diesem Zeitpunkt ist Isa zehn Jahre alt und die Not in ihrer Familie riesig. Ein schlimmes Ereignis sorgt dafür, dass Isa den jungen Fabrikantensohn Henning Wittmann kennenlernt. Doch ihre Wege trennen sich gleich wieder. Gedanklich jedoch beschäftigen sie sich noch eine Weile miteinander. Henning muss immer wieder an das beherzte Vorgehen Isas denken – und an ihren kleinen Bruder. Er macht sich auf die Suche und entdeckt sie beim Betteln auf dem Alexanderplatz. Heimlich beobachtet er die Kinder, lauscht in einem Versteck ihren Gesprächen und spürt dabei das herzliche Miteinander. In seiner Welt eine Seltenheit. Irgendwie gelingt es Henning, sich Isa zu nähern und sie kennenzulernen. Zwei unterschiedliche Welten treffen aufeinander. Zu diesem Zeitpunkt weiss Isa noch nicht, dass Henning der Sohn des ehemaligen Patrons ihres Vaters ist.
Große soziale Unterschiede
Ausführlich beschreibt Margit Steinborn in ihrem Roman die sozialen Klassenunterschiede. Sie nimmt den Lesenden mit auf eine Reise in das Berlin vor dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges. In den Arbeitervierteln herrscht große Armut, während in den Nobelvierteln das Geld mit vollen Händen ausgegeben wird. Der technische Fortschritt verhilft zwar zu monotoner Arbeit in der Fabrik; die Kehrseite der Medaille bedeutet arbeiten bis zum Umfallen. Zehn und mehr Stunden-Tage sind die Regel. Ein kleiner Lohn, ungenügende Sozialleistungen und der ständig drohende Verlust des Arbeitsplatzes entsprechen der Wirklichkeit von Tausenden. Unterdessen erwirtschaften die Fabrikanten satte Gewinne auf dem Buckel der Arbeiter. Und nun tritt Deutschland auch noch in den Krieg ein.
Die Autorin erzählt durch die Figur der Isa von den täglichen Mühen und dem Überlebenskampf. Absolut nachvollziehbar ist deshalb, dass ihr als eine der wenigen Möglichkeiten das Betteln und, als letzter Ausweg, das Stehlen bleibt. Dagegen fehlt es Henning nicht an Geld. Er weiß dafür von Lieblosigkeit, Härte und hohen Ansprüchen an die schulischen Leistungen zu erzählen. Trotz dieser gesellschaftlichen Unterschiede kommen sich die beiden näher.
Dass sich Wege zweier Gesellschaftsschichten kreuzen, bringt einen gewissen Reiz und Spannung in das Geschehen. Ob und wie sich die Geschichte weiterentwickelt, darüber wird im zweiten Band sicher mehr zu erfahren sein.
Fazit
Geschickt spielt Margit Steinborn mit Klischees, historischen Fakten und fiktiven Figuren. Das Resultat ist eine äußerst unterhaltsame Geschichte, die zwei Welten und eine Liebe miteinander verbindet.
Margit Steinborn, Kate Alcott, Tinte & Feder
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