Der Virginier

  • Heyne
  • Erschienen: Januar 1970
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Michael Drewniok
751001

Histo-Couch Rezension vonSep 2023

Wenn du mich so nennst, dann lächle!

Ein Mann aus dem US-Osten reist in den 1880er Jahren in den noch wilden Westen des Präriestaates Wyoming, um dort für einen reichen Rancher zu arbeiten. In Empfang genommen wird er von einem Cowboy, den man nur den „Virginier“ nennt. Obwohl noch jung an Jahren, hat sich der Virginier bereits einen Namen als zuverlässiger Cowboy und Ehrenmann gemacht.

Weil man darum bittet, kümmert er sich um den Neuankömmling. Aus dem Greenhorn wird allmählich ein Mann, der sich in seiner neuen Heimat behaupten kann. Mit offenen Augen registriert er eine ganz eigene Welt, in der das Wort eines Mannes, sein Ruf und seine Verlässlichkeit über allem stehen. Der Dienst auf einer Ranch ist hart, die Wildnis nahe und unerbittlich. Immer wieder stellt der Virginier unter Beweis, dass er jeder Herausforderung gewachsen ist.

Der Dorn im Fleisch des Virginiers ist Trampas, ein Cowboy, der zu kriminellen Abkürzungen auf dem Weg zu Geld und Einfluss neigt. Mehrfach kreuzen sich die Wege der Männer. Der Virginier lässt Gnade vor Recht ergehen, bis ihm keine Wahl mehr bleibt; dies auch deshalb, weil sein Auge auf eine junge Lehrerin gefallen ist, die sich das zwar gern gefallen lässt, aber vom Virginier fordert, auf keinen Fall die Waffe gegen Trampas zu erheben. Doch der Tag kommt, an dem der Virginier eine längst überfällige Entscheidung treffen muss ...

Vom Kuhtreiber zum Ritter der Prärie

Noch vor 1900 war die Eroberung des US-Westens abgeschlossen, das Land zwischen Atlantik und Pazifik den Ureinwohnern entrissen und beinahe ‚zivilisiert‘. Was eine brutale Aneignung von Land gewesen war, die mit exzessiver Umweltausbeutung und -zerstörung einherging, wurde in der Rückschau sentimental vergoldet. Entschlossene oder besser: gierige und skrupellose Männer, die unter Einsatz von Gewalt die „frontier“ gen Westen vorgetrieben hatten, verklärte man zu Pionieren, die eine gottlose Wildnis gezähmt hatten.

Zu diesen nun nostalgiegefiltert bewerteten Gruppen gehörte auch der Cowboy, faktisch ein ungebildeter, unterbezahlter Arbeiter, der Rinder hütete und die meiste Zeit im Sattel saß. Diese Cowboys waren schlecht bezahlt, nicht versichert und ohne Anspruch auf eine Rente, weshalb nicht wenige die Seiten wechselten, Gesetzlose wurden oder sich als Söldner und Schlagetots von mächtigen Ranchern in den großen Weidekriegen instrumentalisieren ließen, die auch Owen Wister thematisiert.

Die (historische) Wahrheit war nie ein Hindernis für unterhaltsame (und lukrative) Manipulation. Schon vor Wister begann auch eine literarische Neubewertung des rauen und wenig ruhmreichen „Wilden Westens“. Sie erfasste u. a. die nunmehr ‚befriedeten‘ bzw. ausgerotteten Indianer (was besonders absurd war), verschonte aber auch den Cowboy nicht. Er wurde zum Ritter der Prärie, der dort dafür sorgte, dass die Städter mit Fleisch versorgt waren. Dabei lebte er (angeblich) im Einklang mit einer romantisch idealisierten Natur, die den Cowboy zum „guten Menschen“ schliff, der wenig redete, vorher nachdachte, die Schwächeren schützte, Frauen ehrte und einem Ehrenkodex folgte, der strenger als das geschriebene Gesetz war.

Der Urtyp des (Medien-) Cowboys

Owen Wister (1860-1938) zementierte mit seinem 1902 erstmals erschienenen und immer wieder neu aufgelegten Roman „The Virginian“ dieses Bild des Cowboys, das so kritikfrei übernommen wurde und bald auch im Kino vorherrschte. Der Name des „Virginiers“ wird vom Verfasser nie genannt; dies ist nicht nötig, denn der Virginier ist ein Archetyp, der das Idealbild des Cowboys verkörpert.

Er ist ein Mann ohne Fehl und Tadel, schon äußerlich eine eindrucksvolle Gestalt, trotz des Präriestaubs stets sauber, dazu höflich und ruhig, aber geprägt von einem aus heutiger Sicht zwiespältigen Ehrenkodex. Wird eine dieser Regeln verletzt, greift der Virginier zum Revolver. Es folgt eine letzte Warnung - „Wenn du mich so nennst, dann lächle!“ ist in die Literaturgeschichte eingegangen -, bevor das einfache, unbarmherzige Gesetz der Prärie vollstreckt wird.

Diese quasi angeborene Ritterlichkeit spiegelt sich hier in den Augen des namenlosen Erzählers wider. Er ist das naive „Greenhorn“ aus dem zivilisierten, aber eigentlich degenerierten, verstädterten US-Osten, der im Westen erstmals mit der soliden Menschlichkeit des von seiner Umwelt geprüften, an Entbehrungen gewöhnten und in sich ruhenden Westmanns konfrontiert wird. Diverse plumpe Verstöße wettert der Virginier kalt, aber ruhig ab, denn er weiß um die charakterlichen Schwächen des Neulings. Dieser gewöhnt sich aber ein. Er hört und sieht hin, lernt und begreift, wie der Westen tickt.

Historie als Rollenspiel

Das negative Spiegelbild des Virginiers ist Trampas, der weniger ein Cowboy, sondern ein Spieler, Revolverheld und vor allem zwielichtiger ‚Geschäftsmann‘ ist, den ein Ehrenmann wie der Virginier zwangsläufig ablehnen muss. Mehrfach kreuzen sich ihre Wege, doch großzügig lässt der Virginier Trampas trotz dessen Übeltaten ziehen, bis dieser eines Tages die Grenze überschreitet.

Wister gestaltet seinen Roman als Folge lose miteinander verbundener Episoden. Sie folgen einem nur angedeuteten roten Faden und entwerfen in erster Linie das Bild eines Westens, den es so nie gegeben hatte, den man sich aber gern so vorstellte. Der namenlose Erzähler hält fest, was er in der für ihn (und die Leser) neuen Welt erlebt. Dabei unterscheidet er nicht zwischen ‚wichtigen‘ und ‚unwichtigen‘ Ereignissen, zwischen Tragik und Komik. Für ihn ist alles gleichermaßen interessant, und der Virginier und Trampas sind im Guten bzw. im Bösen seine Begleiter.

Obwohl (oder weil) „Der Virginier“ viele Jahrzehnte zum „Must-Read“ der US-Leser gehörte und sogar als Schullektüre eingesetzt wurde, erwischte ihn letztlich der Zorn einer Nachwuchsgeneration, die nicht fähig oder gewillt ist zu differenzieren: Ein Buch, das 1902 erschien, kann natürlich nicht dem ‚korrekten‘ (bzw. korrigierten) Weltbild der Gegenwart entsprechen. Was Wister völlig selbstverständlich niederschrieb, weil es in seiner Welt normal war, kann heute jene, die sich aufregen wollen, in Rage versetzen. Der unbedingte Drang zur ‚Nutzbarmachung‘ der ‚Wildnis‘ ist ebenso veraltet wie das Frauenbild, fügt sich aber harmonisch ins Geschehen, was nicht wundern sollte, weil es den zeitgenössischen Stand referiert.

„Der Virginier“ in Film und Fernsehen

Schon zwei Jahre nach Veröffentlichung des Romans adaptierte Wister in Zusammenarbeit mit dem Autor Kirke La Shelle „The Virginian“ als Theaterstück. Es diente in den folgenden Jahrzehnten mehreren Filmen als Drehbuch-Grundlage. Ein erster, noch stummer Film wurde 1914 unter der Regie von Cecil B. DeMille („Cleopatra“, 1934; „Samson und Delilah“, 1949; „Die zehn Gebote“, 1956) gedreht. Ein filmhistorisch ebenso wichtiger Streifen entstand 1929 unter der Regie von Victor Fleming („Der Zauberer von Oz“; „Vom Winde verweht“, beide 1939). In der Hauptrolle glänzte ein noch blutjunger Gary Cooper („Zwölf Uhr mittags“, 1952), der in Walter Brennan als Trampas einen gleichwertigen (Schauspiel-) Gegner fand. 1946 inszenierte Stuart Gilmore ein ebenfalls gelungenes sowie erfolgreiches Remake mit Joel McCrea und Brian Donlevy als Virginian bzw. Trampas.

Zwischen 1962 und 1971 entstand unter dem Titel „The Virginian“ (dt. „Die Leute von der Shiloh Ranch“) eine TV-Westernserie, die an Staffel- und Episodenzahl nur von „Gunsmoke“ (dt. „Rauchende Colts“) und „Bonanza“ übertroffen wurde. 249 Folgen spielten Ende des 19. Jahrhunderts auf der Shiloh Ranch im US-Staat Wyoming, unter deren Cowboys dem weiterhin namenlose Virginian (James Drury, 1934-2020) ein tumber, aber liebenswerter Trampas (Doug McClure, 1935-1995) zur Seite stand. 2000 wurde Wisters Geschichte erneut für das Fernsehen, 2014 für eine solide, aber ebenfalls vergessene Direct-to-Video-Produktion aufgegriffen.

Fazit

Kein ‚typischer‘ Westernroman, sondern eine verklärte ‚Rückschau‘ in einen Wilden Westen, der als Ort der Bewährung Menschen formt oder tödlich aussortiert. Die Handlung ist episodisch, der Tonfall gleichermaßen sachlich wie lyrisch: ein altmodisch gewordener Klassiker, der heutzutage auf Kritik stoßen kann.

Der Virginier

Owen Wister, Heyne

Der Virginier

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