Von Königreichen hast du geträumt
- Blessing
- Erschienen: August 2023
- 0
Historisches Gipfeltreffen zweier Anführer
Als der Spanier Hernán Cortés im November 1519 nach Tenochtitlán, der Hauptstadt der Azteken im heutigen Mexiko, eintrifft, hatte er den Weg dorthin nahezu ohne nennenswerten Widerstand nehmen können. Die Untertanen des Herrschers der Azteken, Moctezuma II., kannten die Waffen nicht und hatten noch nie Pferde gesehen, sodass die Spanier keine Verluste erlitten. Moctezuma, abergläubisch und stets gewisse Pilze konsumierend, will die Spanier eigentlich nicht sehen, denn es wurden keine guten Dinge vorausgesagt.
Während sich Cortés‘ Männer in der Hauptstadt umtun und vor allem ihre Pferde Aufsehen erregen, bereiten sich Cortés selbst und auch Moctezuma auf ihr offizielles Treffen vor. Was mit Voreingenommenheit und unehrlichen Übersetzern beginnt, entwickelt sich schnell zu einer diplomatischen Katastrophe. Missverständnisse und Misstrauen führen schnell dazu, dass das Treffen nicht wie geplant verläuft, obwohl man geglaubt hat, auf das Treffen vorbereitet zu sein. Wer wird das ungewöhnliche Treffen überleben?
Im Reich der aztekischen Sprache
Glücklicherweise beginnt der Roman des mexikanischen Autors Álvaro Enrigue mit einem vermeintlichen Brief an eine Teresa, vermutlich seine Lektorin, denn in diesem Brief erläutert er, wie die im folgenden Roman vorkommenden Namen von Menschen und Orten auszusprechen sind. Das ist für den Leser sehr hilfreich, denn Ausdrücke wie Tenoxtitlan, Cuauhtémoc oder Tlilpotonqui gehen der deutschsprachigen Zunge wohl nicht leicht über die Lippen. Auf den folgenden Seiten folgt ein Personenverzeichnis, das noch wertvolle Hilfe leisten wird, denn der Autor hat beschlossen, es seinem Leser nicht leicht zu machen.
Das liegt nicht nur an den Namen, sondern auch an der gesamten Geschichte. Der Autor hat sich entschieden, eine neue Variante des Treffens zwischen Moctezuma II. und Cortés zu ersinnen, die so tatsächlich nicht abgelaufen ist, aber mehr hergibt. Mit einer virtuosen Sprache führt der Autor den Leser durch das Geschehen und beschreibt auf mehreren Zeitebenen das Treffen der beiden. Es gibt Rückblicke, diese aus mehreren Perspektiven, und immer wieder trifft man den aztekischen Herrscher beim Konsumieren der Pilze, die seinen Blick vernebeln und den Geist womöglich auch, und wer nicht auf ihn hört, bekommt den Kopf abgeschlagen.
Ungewöhnliche Zustände
Moctezuma ist verheiratet mit seiner Schwester Atotoxtli, die ein wenig Einfluss auf ihn hat, aber auch ihr Kopf sitzt nicht sicher. Und doch vertraut er ihr, immerhin kann sie seine morbiden Gelüste ein wenig in menschlichere Bahnen lenken, vor allem wenn die Fremden kommen mit ihren Pferden („Cahuayos“), die bei den Azteken großes Interesse wecken. Auch der Bürgermeister Tlilpotonqui hat einen gewissen Einfluss auf den Ausgang des Treffens der Anführer, vor allem bei den Verhandlungen, bei denen neben Cortés dessen Offizier Caldera zugegen ist, der immer für einen Fauxpas gut ist.
Àlvaro Enrigue manövriert seine Protagonisten in eine Situation und in eine Ausgangsposition, die zwangsläufig in einer Katastrophe enden muss. Das Ende soll hier nicht verraten werden, aber der Autor schafft es durchgehend, den Leser bei Laune zu halten und trotz dem ungewohnten Dschungel an exotischen Namen und Bezeichnungen eine unterhaltsame Handlung zu entwerfen. Dass diese auf den knapp 250 Seiten aus dem Blessing-Verlag am Ende ein wenig aus den Fugen gerät, mag den Roman noch interessanter machen als er durch seine seltene Thematik eh schon ist. Ebenso ist ein gewisser Humor vorhanden, der vor allem dann zutage tritt, wenn man sich nicht wagt, das Gesagte korrekt zu übersetzen, und was dann daraus resultiert.
Die Wirkung von Pilzen…
Warum sich der Autor zu dieser Art der Erzählung und der Variante in der Geschichte greift, bleibt schleierhaft – vielleicht waren auch hier wieder Pilze im Spiel? Alles in allem ist dem Autor aber ein unterhaltsamer Roman gelungen, der einen schönen Einblick in die Zeit, Gebräuche und Gedankengänge der Azteken zeigt und in dem von einem Königreich geträumt wird, das so vielleicht existiert hat, vielleicht auch nicht.
Neben einem unbedingt brauchbaren Personenverzeichnis zu Beginn des Buches und der sprachlich nötigen Vorrede des Autors besticht das Buch durch eine historische Karte von Tenoxtitlan, einem kurzen Nachwort des Autors und einem Coverbild, das Hernán Cortés zeigt und somit dem Buch den verdienten historischen Einstieg gibt.
Fazit
Wer zu „Von Königreichen hast du geträumt“ von Álvaro Enrigue greift, sollte sich darüber im Klaren sein, einen etwas ungewöhnlicheren Roman in den Händen zu halten. Das ist durchaus nicht negativ gemeint, aber der rote Faden des Romans nimmt doch den einen oder anderen Umweg. Dennoch ist der Roman unterhaltsam, und wer sich durch die ungewöhnlichen Namen nicht abschrecken lässt, bekommt eine interessante und fantasievolle Geschichtsstunde präsentiert, die noch länger im Gedächtnis bleiben wird.
Álvaro Enrigue, Blessing
Deine Meinung zu »Von Königreichen hast du geträumt«
Wir freuen uns auf Deine Meinungen. Ein fairer und respektvoller Umgang sollte selbstverständlich sein. Bitte Spoiler zum Inhalt vermeiden oder zumindest als solche deutlich in Deinem Kommentar kennzeichnen. Vielen Dank!