Die erste Fahrt des Orient-Express
- Lübbe
- Erschienen: Juli 2024
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Mordversuch bei der Jungfernfahrt.
1883. Georges Nagelmackers hat einen Traum: Er will mit neuen, luxuriösen Schlafwagen ganz Europa mit der Eisenbahn verbinden und so trotz der vielen Kriege in Europa die Menschen miteinander verbinden und zum Dialog bringen. Hierzu hat er viele Studien betrieben, war auch in Amerika, und will nun im Oktober des Jahres mit seinem neuen Orient-Express genannten Zug einige prominente geladene Gäste zu einer Fahrt von Paris nach Konstantinopel einladen. So nehmen insgesamt zwölf Personen an der Fahrt teil, darunter der französische Finanzminister, ein indischer Großfürst, der Reporter Henri de Blowitz, ein russischer Großfürst, der osmanische Botschafter in Paris und der Schriftsteller Jules Verne.
Ausdrücklich auf der Fahrt nicht gewünscht sind Frauen, da diese angeblich für diese Technik kein Verständnis haben, ein Streitpunkt, den Nagelmackers bereits zu Hause mit seiner Verlobten Hubertine Berthier ausgefochten hat. Zudem herrscht Krieg auf dem Balkan, und dieser Gefahr will man den Damen im Allgemeinen nicht aussetzen. Läuft zu Beginn noch alles im Rahmen und Georges kann auf seine Berechnungen vertrauen, gibt es mit der längeren Laufzeit immer wieder kleinere Problemchen, die aber stets gut gelöst werden können. Doch dann scheint es, als solle ein Mordanschlag auf einen Fahrgast verübt werden. Georges muss mit Hilfe des fantasievollen Jules Verne Ermittlungen aufnehmen, damit die Fahrt an sich nicht in Gefahr gerät. Zudem erweist sich ein verkleideter Page als Hubertine, die doch einen Weg an Bord gefunden hat und allen Gefahren und Abenteuern mutig ins Auge blickt.
Ausgewählte Gäste an Bord
David Janz hat mit einem Roman einen temporeichen, schnörkellosen Roman vorgelegt, der historisch gut recherchiert ist und eine bisweilen spannende Handlung mit real geschehenen Ereignissen verknüpft. Die beschriebene Fahrt hat es wirklich gegeben, die meisten der Passagiere sind authentisch – nur Jules Vernes Teilnahme ist fiktiv -, und auch der Abstecher der Gäste nach Schloss Peles in Rumänien ist historisch belegt.
Die Handlung um den vermeintlichen Mordanschlag ist natürlich fiktiv, verleiht dem Roman aber eine gewisse Würze. Da der Autor nicht nur mit seinem Orient-Express, sondern auch mit der Handlung ein ordentliches Tempo vorlegt, gibt es keinen Leerlauf und die Protagonisten kommen kaum zum Durchatmen. Dabei steht naturgemäß Georges Nagelmackers im Mittelpunkt, der Erbauer des Zuges, der es mit seinen Passagieren nicht immer leicht hat und der sich für alle verantwortlich fühlt – im Guten wie auch im Falle von Unwägbarkeiten. Er ist ein sympathischer junger Mann, und der Meinung ist auch Hubertine Berthier, die ihm das eine ums andere Mal beiseite steht und ihn moralisch und auch praktisch unterstützt.
Wie bringt man Feinde zusammen?
Während der Fahrt durch mehrere, zum Teil verfeindete Länder und durch Landstriche mit noch nicht fertig gestellten Strecken, die anders überbrückt werden müssen, lernt man auch die weiteren Passagiere näher kennen. Auch der Konkurrent von Nagelmackers aus Amerika ist mit an Bord. Steckt er hinter den Pannen? Bezahlt er den Reporter für schlechte Presse? Möchten die verfeindeten Diplomaten an Bord den Orient-Express sabotieren, um es dem anderen in die Schuhe schieben zu können? Wird König Carol I. von Rumänien aus Begeisterung den Zug stehlen? Kommt der Orient-Express überhaupt in Konstantinopel an, und wenn ja, schafft er es rechtzeitig? Es gibt viele Fragen zu beantworten, und die Konstellation der Gäste an Bord lässt viele Möglichkeiten zu, die der Autor aufnimmt und auch alle am Ende beantwortet.
Natürlich steht auch der Zug an sich im Mittelpunkt des Romans. Der Autor erklärt viel und beschreibt so manche Eigenart, technische Neuerung und Finesse, die man aus heutigen Zügen kennt oder die sich nicht durchgesetzt haben, wenn man bedenkt, dass es sich beim Orient-Express um einen ausgesprochenen Luxuszug handelt. Der Leser bekommt einen Eindruck, wie sehr sich der Konstrukteur Gedanken gemacht hat, was Stromleitungen, Wasserleitungen, Heizung, Unterkunft, Küche, Lagerung usw. betrifft. Ein interessanter Blick in die luxuriöse Vergangenheit der Eisenbahngeschichte.
Historisch korrekt
Da die Geschichte weiß, dass die erste Fahrt so erfolgreich war, dass ab 1884 regelmäßig Züge von Paris bis Wien und, nach Fertigstellung weiterer Gleisstrecken, auch ab 1888 bis Konstantinopel fuhr, kann der Luxuszug als Erfolg gewertet werden und vor allem als für damalige Verhältnisse technische Neuerung, die in die Geschichte einging. David Janz hat ihm mit diesem Roman ein würdiges Denkmal gesetzt und im Leser den Wunsch geweckt, sich näher mit der Geschichte des Orient-Express zu beschäftigen.
Der knapp 380seitige Roman aus dem Lübbe Verlag bietet als zusätzliche Extras ein interessantes dreiseitiges Nachwort des Autors und zudem im vorderen Buchdeckel eine Karte mit der Reiseroute und im hinteren Buchdeckel den Fahrplan und die Wagenreihenfolge, wie man das von heutigen Bahnhöfen auch kennt. Allerdings verlaufen heutige Bahnreisen weit weniger aufregend als diese erste historische Fahrt von Paris nach Konstantinopel.
Fazit
„Die erste Fahrt des Orient-Express“ ist ein kurzweiliger, bisweilen spannender Roman des Autors David Janz, der sprachlich nicht kompliziert ist und den man gut weglesen kann. Eine schöne Lektüre, nicht nur für Eisenbahnfans: Hier wird auch für das Herz etwas geboten, es ist spannend, historisch interessant und über allem schwebt der technische Fortschritt der Menschheit. Empfehlenswert.
David Janz, Lübbe
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