Der Grenadier und der stille Tod
- Emons
- Erschienen: August 2020
- 0
Ein historischer Petit Four.
Der historische Kriminalroman „Der Grenadier und der stille Tod“ scheint mit seinen knapp 270 Seiten eher ein historischer Snack als ein komplettes Menü. Allerdings sollte man sich davon nicht täuschen lassen, denn inhaltlich hat der Roman einiges zu bieten.
Die Autorin Petra Reategui hat sich als Schauplatz Karlsruhe ausgesucht, das ansonsten ein eher stiefmütterliches Dasein im historischen Erzählbereich führt. Hier also kann der Lesende einen neuen Ort für sich entdecken, der anschaulich mit einer Stadtkarte aus den Jahren 1779/1780 im vorderen Teil des Buches präsentiert wird.
Temperamentloser Einstieg
Die ersten Seiten des Romans lesen sich etwas schwerfällig, was vor allem dem geschuldet ist, dass kaum Eigennamen verwendet werden. Madeleine, die weibliche Protagonistin, bildet eine Ausnahme, aber den Namen der männlichen Hauptfigur erfährt der Lesende erst auf S. 43. Dadurch wirkt die Erzählung zunächst unpersönlich.
Auch der distanzierte Bericht einer Hinrichtung zu Beginn wirkt eher wie nebenbei erzählt und lässt die oftmals aufgeladene Stimmung, die die historische Atmosphäre lebendig wiedergeben soll, vermissen. Auch erfährt der Lesende wenig Details beispielsweise über die Kleidung der Zuschauer, worin sich andere historische Romane normalerweise ausgiebig ergehen.
Hat man sich an diese nüchterne Art gewöhnt, was recht schnell passiert, bietet die Geschichte ein faszinierendes Porträt der damaligen Gesellschaft des noch jungen Karlsruhes, denn es handelt sich dabei um eine Planstadt, die erst 1715 gegründet wurde, und die nun – 1772 – Schauplatz eines Mordes wird. Ein junger Grenadier wurde erschlagen, und tatverdächtig ist Ignatz, der Straßenfeger.
Anderohr und sonnenduftender Sirup
Ignatz ist gehörlos, so dass er ein gesellschaftlicher Außenseiter ist. Da man sich zu der Zeit keine Gedanken darum macht, ob gehörlose Menschen doch sprechen könnten, wenn man sich Zeit und Mühe gibt, wird er als Taubstummer klassiert, was gleichbedeutend mit dumm ist. Dass er dies keineswegs ist, beweist er auf anschauliche Art und Weise.
Petra Reategui erzählt den Roman teilweise aus Ignatz‘ Sicht, so dass der Lesende in den Genuss so treffend schöner Wörter wie sonnenduftender Sirup (Honig) oder Anderohr (er selbst) kommt. Diese Wörter setzt sich Ignatz selbst zusammen, weil er die richtigen Wörter nicht kennt.
Die Welt aus Ignatz‘ Sicht ist anschaulich beschrieben, wobei der Lesende auch nicht mehr erfährt als der Straßenfeger und zuweilen ebenso überrascht wird, weil der Sinn „Hören“ ausgespart wird. Dadurch ist man ganz auf seine Beobachtungen angewiesen, die unterschiedlich gedeutet werden können.
Unterstützung findet Ignatz bei dem einäugigen Jungen Christoph, der gewitzt in breitem Dialekt redet - und auch bei Madeleine, die zu den Waldensern gehört, die sich in einem kleinen Ort bei Karlsruhe angesiedelt haben. Im Laufe des Romans erfährt man zwar etwas mehr über diese Gruppe, doch das hätte gerne noch ausführlicher sein können.
Fazit
Petra Reategui erzählt sorgfältig, aber nicht ausschweifend, von einem Mord in der noch neuen Stadt Karlsruhe und fängt dabei besonders den Charakter des gehörlosen Ignatz in seiner Welt ein. Ein historischer „Petit Four“, aber ein Leckerbissen.
Petra Reategui, Emons
Deine Meinung zu »Der Grenadier und der stille Tod«
Wir freuen uns auf Deine Meinungen. Ein fairer und respektvoller Umgang sollte selbstverständlich sein. Bitte Spoiler zum Inhalt vermeiden oder zumindest als solche deutlich in Deinem Kommentar kennzeichnen. Vielen Dank!