Die Bibliothek der Hoffnung
- Droemer-Knaur
- Erschienen: März 2023
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Bücher statt Bomben.
London 1944: Im letzten Kriegsjahr tobt der Luftkampf über der englischen Hauptstadt. Die stillgelegte „Underground“-Station Bethnal Green ist zum Luftschutzbunker umfunktioniert worden, indem die Bevölkerung sich vor den Bombenangriffen der deutschen Fliegerstaffeln in Sicherheit bringt. Neben bloßen Schlafunterkünften, findet im „shelter“, wie in einer Parallelwelt zum oberirdischen Großstadtalltag, urbanes, gesellschaftliches Leben statt.
Lebensmut dank Literatur
Auch die ausgebombte Stadteilbibliothek ist hier auf Initiative der Kinderbibliothekarin Clara Button behelfsmäßig untergebracht worden. In Folge des Bombenangriffs, mit dem Direktor unter den Opfern, wurde ihr als Frau, in Friedenszeiten noch undenkbar, die Leitung der Bücherei übertragen. Seit früher Kindheit liest Clara mit einer grenzenlosen Leidenschaft und hat ihre Liebe zu Literatur gegen den Widerstand von Konventionen und des Unverständnisses ihrer Familie zum Beruf gemacht. Nach dem Tod ihres Mannes wurden auch Bücher mit ihren Erzählwelten für die junge Kriegswitwe zum trostspendenden Zufluchtsort. Das Lesen gibt ihr ebenfalls Halt bei der Bewältigung des tragischen Verlustes ihres ungeborenen Kindes, das sie bei der Bombardierung der Bibliothek verlor. Vor allem, da Claras Mutter und Schwiegermutter, ihr aufgrund ihrer Berufstätigkeit, eine Mitschuld am Tod des Enkelkindes geben.
Bücherrefugium schenkt Zuflucht
Mit Wärme und Empathie ist Clara das Herz der „shelter“-Bücherei. In den belastenden Kriegstagen gelingt es ihr, trotz des eigenen Schmerzes, durch die Macht der Literatur, dem Bibliothekspublikum Kraft und Zuversicht zu geben. Für jeden Besucher findet sie intuitiv immer genau das richtige Buch, das seiner individuellen Lebenssituation hilfreich entspricht. Sie veranstaltet Vorleseabende, lädt zu Literaturkreisen, organisiert einen Bücher-Bus. Darüber ist sie für ihre Leser zur hochgeschätzten Gesprächspartnerin auch abseits der Buchausleihe geworden, der sie zutiefst dankbar sind.
Besonders eng ist Claras Verhältnis zu den Kindern von Bethnal Green, die oft auf sich alleingestellt, traumatische Erfahrungen bewältigen müssen. So wie die Schwestern Marie und Beaty, die nach ihrer Flucht von Jersey ohne Eltern im unterirdischen Notbunker gestrandet sind. Claras unermüdlicher Einsatz und die Einzigartigkeit der Bunkerbibliothek stoßen selbst in Regierungskreisen als Propaganda-Coup auf Wohlwollen, das mit einer offiziellen Auszeichnung medienwirksam herausgestellt wird. In der Praxis eckt die emanzipierte Büchereileiterin mit ihren innovativen Ideen bei ihrem Vorgesetzten sowie konservativen Besuchern, vor allem Ehemännern, allerdings nicht wenig an.
Loyale Trauer und Mut zu Neubeginn
Claras beste Freundin Ruby Munroe steht ihr als Aushilfskraft im turbulenten Büchereialltag schlagfertig und ideenreich zur Seite. Die beiden Frauen durchleben aber auch gemeinsam die Zeiten der Trauer in enger Verbundenheit. Ruby leidet schwer unter dem Verlust ihrer Schwester, die bei einer Massenpanik im U-Bahn-Schacht ums Leben gekommen ist, wofür sie sich verantwortlich fühlt. Zusätzlich belastet sie die Situation ihrer Mutter, die von ihrem zweiten Ehemann dominiert und misshandelt wird, jedoch nicht den Mut aufbringt, ihn zu verlassen. Anders als Clara, flieht Ruby vor ihrem Schmerz in den Alkohol und stürzt sich, um zu vergessen in flüchtige Affären. Das ändert sich erst als ihr der junge GI Eddie begegnet. Clara fällt es hingegen, aus Loyalität zu ihrem verstorbenen Mann, schwer sich auf eine neue Beziehung einzulassen.
Nachdem sie an einem Abend auf dem Nachhauseweg brutal überfallen wird und ihr der Sanitäter Billy zu Hilfe kommt, baut sich behutsam eine gewisse Nähe zu ihm auf. Billy erweckt den Eindruck, als trüge auch er an schweren Erlebnissen der Vergangenheit. Beide brauchen Zeit, um sich ihre wachsenden Gefühle füreinander zu gestehen und den Schritt in eine neue Partnerschaft zu wagen. Leider soll das Glück von Clara und Billy nicht lange halten. Ein dramatisches Ereignis in den vier Wänden der kleinen „shelter“-Bibliothek hat verhängnisvolle Konsequenzen, die nicht nur die fest geglaubte liebevolle Bindung in Frage stellt, sondern Clara zum ersten Mal in ihrem Leben in einen existentiellen Zustand versetzt, in dem sie sich dem Lesen verweigert und selbst aus der Literatur keine Kraft schöpfen kann. In den Wirren der letzten Kriegstage und des sich anbahnenden Friedens, reißt die Kette der Geschehnisse jedoch nicht ab und die Geschichte von Clara und Billy ist noch nicht zu Ende erzählt.
Wahre Begebenheit mit aktuellem Bezug zur Gegenwart
Die englische Autorin Kate Thompson lebt selbst in London. Als die Bethnal Green Library achtzig Jahre nach dem zweiten Weltkrieg zu Beginn der Pandemie ihren Betrieb einstellen muss und ihr Fortbestand gefährdet scheint, beteiligt sie sich an einer Rettungskampagne gegen die Bibliotheks-Schließung. Um eindringlich an die bewegte Vergangenheit der Bücherei zu erinnern und die Bedeutsamkeit für ihre Besucher hervorzuheben, entsteht als Thompsons Beitrag zur Initiative ihr Roman, der in fiktiver Form die Geschichte der „shelter-library“ aufleben lässt. Ausgehend von „The Blitz“, den nicht enden wollenden Luftangriffen der Deutschen zwischen Herbst 1940 und Frühjahr 1941, bei denen die Menschen vor der Bedrohung aus der Luft unter die Erde flohen. Mit einer Rahmenhandlung versetzt sie die Erzählung in die Tage von Corona und lässt eine Figur des Buches als Zeitzeugin in einer Rückblende die Geschehnisse im unterirdischen Behelfsbunker berichten. Dabei verarbeitet sie reale Ereignisse und Namen, die Charaktere sind jedoch frei erfunden.
Kate Thompson gelingt der Balanceakt zwischen der Schilderung, der oft erschütternden, tragischen Vorkommnisse des Krieges und dem Glauben an eine neue Liebe in einer friedlichen Zukunft ohne Rührseligkeit. Mitreißend und einfühlsam geschrieben, zeigt das Buch immer Respekt gegenüber dem persönlichen Leid der Betroffenen.
Durch die optimistische Einstellung der Protagonisten liest es sich motivierend und hoffnungsvoll. Die Hilfe, die diese für sich in Büchern finden, und die sie, als Verantwortliche durch das Angebot der unterirdischen ganz besonderen Bücherei auch deren Publikum schenken, wird dabei zum eindrucksvollen Beispiel dafür, was Lesen in Notsituationen bewirken kann und wie wichtig ein freier Zugriff auf Bücher ist, den gerade eine öffentliche Bibliothek garantiert - ein Ort wie die Bethanal Green Library - sowohl damals als auch heute.
Fazit
Der Roman vereint bewegend erzählt, historische Wirklichkeit, Fiktion und aktuellen Gegenwartsbezug. Trotz des erschütternden Kriegsszenarios bestimmt der feste Zukunftsglaube der starken Charaktere den positiven Tenor der Geschichte. Genau das das richtige Buch für die Ausleihe der Bibliothek der Hoffnung.
Kate Thompson, Droemer-Knaur
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