Helden

  • Kiepenheuer & Witsch
  • Erschienen: Oktober 2024
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Alexander Krist
951001

Histo-Couch Rezension vonJan 2025

Monumentales Mittelalterpanorama.

1260-1263: Jacop der Fuchs hat es geschafft! Der Kölner Stadtstreicher ist dank der Hilfe des gelehrten Geistlichen und Arztes Jaspar Rodenkirchen zum ehrbaren und gebildeten Kaufmannslehrling im Fernhandel geworden, bereist Frankreich und England. Doch der soziale Aufstieg hat zwiespältige Auswirkungen auf die Beziehung zu Jaspars Nichte Richmodis. Zudem bleiben die Zeiten unruhig: In Köln ringen der Erzbischof, die patrizischen Großkaufleute und die aufstrebende Mittelschicht mit härtesten Bandagen um die Macht, in England herrscht offener Bürgerkrieg zwischen König Henry III. und seinem Schwager Simon de Montfort. Jacop kehrt als Mitglied einer Kölner Geheimmission auf die Insel zurück und bekommt es unter anderem mit einer Schar Galloglass (gälisch-wikingische Söldner von den Hebriden) zu tun, angeführt von der mysteriösen "Schildmaid" Muirgheal mit ihren zum Kampf abgerichteten Adlern. Und dann sind da noch, ganz buchstäblich, die Geister seiner Vergangenheit...

Späte Fortsetzung

Neunundzwanzig Jahre nach seinem Debütroman Tod und Teufel, in dem Jacop beim Äpfelstehlen den Mord am Dombaumeister beobachtete und einer Verschwörung auf die Spur kam, präsentiert Frank Schätzing jetzt also die Fortsetzung, fast dreimal so umfangreich und in Form und Inhalt deutlich komplexer. Trotz dieses großen Abstands knirscht die Verbindung zwischen beiden Bänden nur wenig. Helden knüpft in langen Rückblenden fast unmittelbar an das Ende des Vorgängers an und klärt offen gebliebene Fragen.

Es dauert eine Weile, bis man sich in den verschiedenen ineinander verschachtelten Zeitebenen zurechtfindet, auch die Erzählperspektive wechselt ständig und nicht nur zwischen Sympathieträgern. Es ist die Zeit, in der die Theologie die Willensfreiheit wiederentdeckt, was zu einem enormen Innovationsschub führt, aber auch zu neuem Grübeln über den Sinn des eigenen Seins und Tuns. Der Roman handelt von nichts Geringerem als der Entstehung von Kapitalismus und Parlamentarismus - Finanzblasen und Populismus inklusive. Ein monumentales Mittelalterpanorama, bei dem Parallelen zur Gegenwart sicher rein zufällig sind.

Charaktervielfalt

Fast alle Figuren, die den Vorgängerband überlebt haben, sind wieder da, und einige bekommen jetzt erheblich mehr psychologischen Tiefgang: Jaspar macht, um seine innere Leere zu bekämpfen, Jacop zum Objekt eines theologischen Sozialexperiments. Richmodis träumt vom kleinbürgerlich-bescheidenen Alltagsglück und hadert doch mit der zeitbedingten Frauenrolle. Der nur scheinbar eiskalte Handelsmagnat Mathias Overstolz strebt nach dem Sieg des Geldes über die alten Autoritäten von Adel und Kirche und ist im Grunde bloß ein tief einsamer Melancholiker.

Natürlich gibt es auch zahlreiche Neuzugänge, historisch belegte und fiktive. Bei Muirgheal, der Dame auf dem Schutzumschlag, fragt man sich allerdings schon, ob sie ernst gemeint ist oder ob der Autor hier die historisch äußerst zweifelhafte Modefigur der Wikingerkriegerin subtil persifliert. Dabei ist sie nicht einmal die psychologisch interessanteste Frauengestalt des Romans.

Zu viel des Guten? Wunderbar!

Der Vorwurf der "Klugscheißerei", den die selbst keineswegs ungebildete Richmodis gegen Jaspar und Jacop erhebt, hat seine Berechtigung. Wie viele historische Romane setzt auch dieser das Bildungsniveau seiner Figuren unrealistisch hoch an, um das des Autors demonstrieren zu können. Wie Jacop parallel zum Lesen- und Schreibenlernen, aber ohne Lateinkenntnisse, gleich alle sieben freien Künste auf einmal studiert, strapaziert die Nachsicht des Rezensenten mehr als Jaspars Erfindung einer Quasi-Psychoanalyse. Auch bei den (im Anhang übersetzten) französischen und lateinischen Sprachproben wäre weniger mehr gewesen. Freilich kann es sich dieser Autor leisten, dick aufzutragen. Die nonchalante Schnoddrigkeit, mit der hier sicher nicht das, aber ein Mittelalter präsentiert wird, ist unwiderstehlich. Es ist ein stilisiertes Mittelalter, aber so detailverliebt und in sich stimmig stilisiert, dass selbst Ausflüge ins Surreale - Jacops Geistervisionen, Muirgheals Fähigkeiten als Adlerflüsterin - sich mühelos einfügen.

Die Dialoge sind oft hinreißend, wobei Nicht-Rheinländern manche Pointe entgehen könnte ("Es ist, wie es ist"). Wann die Sprache modernisiert ist und wann nicht, folgt zwar keiner nachvollziehbaren Logik, und die historischen Daten und Fakten sind mitunter etwas zurechtgebogen. Andererseits ist nicht alles ein Anachronismus, was auf den ersten Blick wie einer aussieht: Bananen etwa sind im Köln des 13. Jahrhunderts nicht unmöglich, in Spanien wurden sie bereits angebaut. So oder so ist eine Basis aus akkurater Recherche klar erkennbar.

Fazit

Ein zugleich hoch anspruchsvoller, hoch spannender und hoch unterhaltsamer Abenteuerthriller über eine Epoche, die unsere Welt stärker prägt als uns gemeinhin bewusst ist. Man freut sich auf den angekündigten dritten Band - aber dann bitte wieder mit Glossar!

Helden

Frank Schätzing, Kiepenheuer & Witsch

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