Die Melodie der Lagune
- HarperCollins
- Erschienen: Februar 2025
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Ein virtuoser barocker Venedig-Roman.
Venedig, 1696. In der Säuglingsklappe des Waisenhauses Ospedale della Pietà wird ein zwei Wochen altes Mädchen abgelegt, für das Ospedale nichts Besonderes. Das Mädchen wird Anna Maria genannt und zeigt schon bald außerordentliche musikalische Fähigkeiten, so dass sie an der Musikschule des Ospedale unterrichtet wird. Als ein neuer Geigenlehrer an die Schule kommt, ist Anna Maria acht Jahre alt und nimmt das erste Mal eine Geige in die Hand. Sie spielt nach Gefühl, spielt Farben und beeindruckt damit den neuen Lehrer namens Antonio Vivaldi.
Anna Maria nimmt sich ihren neuen Lehrer zum Vorbild und will nicht nur die beste Geigerin im Orchester della Pietà werden, sondern auch Komponieren und ihren Namen unsterblich machen. Sie entwickelt einen Ehrgeiz, mit dem sie sich nicht immer beliebt macht und bei dem auch die eine oder andere Freundin auf der Strecke bleibt. Schon bald nimmt Vivaldi sie mit auf Konzerte außerhalb des Ospedale und sie wird bewundert und auch namentlich in den Zeitungen erwähnt.
Nachdem sie zunächst heimlich komponiert hat und Vivaldis Stil übernommen hat, komponieren beide bald als Team neue Stücke, die sie bald beide in ganz Venedig berühmt machen. Ihr Ruf eilt ihnen voraus und es kommen auch viele Menschen aus dem Ausland, um die berühmte Anna Maria della Pietà und Vivaldi zu hören. Doch immer mehr hat sie das Gefühl, dass er sie ausbremst. Wird sie ihren eingeschlagenen Weg gehen können, notfalls auch ohne ihn?
Ein Waisenhaus für Mädchen mit Musikschule
In ihrem Debütroman „Die Melodie der Lagune“ widmet sich die englische Autorin Harriet Constable einem barocken Thema. Das Ospedale della Pietà war ein Waisenhaus mit Musikschule, und ihr bekanntester Lehrer war der Komponist Antonio Vivaldi, der ab 1704 für 14 Jahre dort tätig war. Da das Ospedale ausschließlich für Mädchen war, unterrichtete er ausgerechnet diejenigen Kinder und Jugendlichen, die gesellschaftlich keine Möglichkeit hatten, aus dem Schatten des Ospedale herauszutreten, es sei denn durch Heirat oder als hervorragende Musikerin. Eine Ausbildung als Komponistin war nicht vorgesehen, denn Komponisten waren stets Männer.
Schlechte Voraussetzungen also für ein anonymes Mädchen, das im Ospedale aufwächst, aber Anna Maria ist ein ehrgeiziges Kind, das musikalisch ist und das stets nach mehr strebt. Da sie auch das Talent hat, widerspricht ihr auch niemand. Anna Maria wird nicht immer sympathisch dargestellt, sie hat immer die Musik und ihren Weg im Vordergrund und verprellt es sich damit mit ihren wenigen Freundinnen.
Vivaldi – der Lehrer
Auch die Beziehung zu ihrem Lehrer gestaltet sich schwierig. Man findet zueinander, gerät aneinander, kommt wieder zueinander, dann ist er wieder ein paar Wochen weg und Anna Maria kommt nicht weiter, dann ist er wieder da und es ist als ob nichts gewesen wäre. Hier treffen zwei schwierige Charaktere aufeinander, und die Autorin macht es dem Leser streckenweise nicht leicht, sich auf die eine oder andere Seite zu schlagen.
Interessant ist, dass in dem Roman kein einziges Mal der Name „Vivaldi“ erwähnt wird. Er ist für Anna Maria immer „der Lehrer“, was zeigt, dass ihr seine Bedeutung nicht wichtig und auch egal ist, er ist für sie nur Mittel zum Zweck, ganz nach oben zu kommen; denn für sie ist es egal, dass sie eine Frau ist, das hat für sie keine Bedeutung, und so geht sie wohl auch über Leichen, um an ihr Ziel zu kommen: Sie will Maestro werden – die weibliche Form Maestra existiert damals nicht -, also eine über allen Maßen angesehene Musikerin, die einen Namen in der Musikgeschichte hat. Und wo Namen von Interpreten vergehen, will sie sich durch eigene Kompositionen ein Denkmal setzen.
Durch ihre Beschreibungen schafft es die Autorin, den Leser mühelos in das Venedig zu Beginn des 18. Jahrhunderts zur versetzen. Das Leben im Ospedale wird eindrucksvoll beschrieben – die strengen Schwestern, das Leben zwischen Musikunterricht und sonstigen Pflichten; wie dort auch die Mädchen sanktioniert werden, wenn man nicht spurt. Freundschaften sind hier wertvoll, wenn man es sich nicht verscherzt.
Und es gibt das Venedig außerhalb des Ospedale, die stinkenden Gassen ebenso wie die prachtvollen Paläste, in denen Anna Maria konzertiert und bejubelt wird und mit Geschenken überhäuft wird. Das alles wird von der Autorin zu einem stimmungsvollen Ganzen verwoben und beschreibt die Zeit, bis „der Lehrer“ beschließt, Venedig zu verlassen und nach Wien zu gehen.
Nicht nur sympathische Hauptfiguren
Der Roman hinterlässt nicht nur Freude an der Musik, die von der Autorin allerdings wundervoll beschrieben wird. Wenn Anna Maria spielt, sieht sie Farben, und sie sieht auch Farben wenn sie andere Stimmungen hat. Die Farben sind das Leitmotiv durch den Roman, und am Ende wird Anna Maria ein Ziel erreicht haben, das sie gar nicht vor Augen hatte. Wenn man weiß, dass es Anna Maria wirklich gegeben hat und sie eine reale Person war, muss man trotz allem Respekt vor ihrer Leistung haben.
Der Roman aus dem HarperCollins Verlag wird als Hardcover aufgelegt und ist 380 Seiten stark, wobei die letzten acht Seiten die interessanten Bemerkungen der Autorin und eine Danksagung enthalten. Gerne hätte man noch eine Karte Venedigs gesehen, die gut zum Thema gepasst hätte. Der Roman ist gut recherchiert, einzig in ihrem Nachwort schreibt die Autorin, dass Vivaldi in Paris gestorben wäre, was aber leider nicht stimmt, denn 1741 starb er in Wien, sein Grab ist leider nicht erhalten. Anna Maria hat zeitlebens im Ospedale verbracht, wo sie mit 85 Jahren im Jahr 1782 starb.
Fazit
Mit ihrem Debütroman „Die Melodie der Lagune“ begibt sich die Autorin Harriet Constable ins tiefe Barock und beschreibt die vierzehn Jahre, die Vivaldi am Ospedale della Pietà in Venedig verbracht hat. Die Hauptfigur aber ist das Mädchen Anna Maria, die ihre Karriere macht. Beide sind historische Figuren und werden von der Autorin passend in Zeit und Ort gebettet, man muss als Leser aber nicht immer mit den Handlungen beider Personen einverstanden sein. Ein gelungenes Debüt, das keine durchweg strahlenden Helden hat, aber dafür einen neuen und intensiven Einblick in die Musik der Zeit gibt.

Harriet Constable, HarperCollins
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