Die Wachsmalerin
- Schröder
- Erschienen: Januar 2007
- 7
- Schröder, 2007, Titel: 'Die Wachsmalerin', Originalausgabe
Die Französische Revolution<br> aus neuer Sicht
Noch heute faszinieren die Figuren in Madame Tussauds Wachskabinett alle Menschen, die sie auf der Welt gesehen haben. Wer jedoch war die Frau, deren Namen man kennt, aber nicht deren Geschichte? Sabine Weiß nimmt sich ihrer in ihrem großangelegten Roman Die Wachsmalerin an.
Die kleine Marie Grosholtz kommt im Jahr 1761 in Straßburg zur Welt und wird von ihrer Mutter Anna und ihrem Großvater, dem Scharfrichter der Stadt, aufgezogen. Durch den Beruf ihres Großvaters nicht gerade beliebt und angesehen, fristet sie ein karges Dasein, dass sich erst ändert, als ihre Mutter eine Anstellung bei einem Wachskünstler in Paris bekommt. Marie ist gerade fünf Jahre alt, als sie den Schritt in die französische Metropole wagen.
Doktor Curtius, den Marie von nun an "Onkel" nennt, ist mit ihr zwar nicht verwandt, dennoch übernimmt er gerne seinen erzieherischen Part. Marie zeigt sich neugierig gegenüber der Kunst, mit Wachs zu modellieren und so verbringt sie bald viel Zeit mit ihrem Onkel und beginnt, sein Handwerk näher kennen zu lernen. Sie darf einiges ausprobieren, wenn auch gegen den Willen ihrer Mutter.
Auf einem Marktplatz lernt sie das Mädchen Laure kennen, das von nun an ihre Freundin wird. Und Curtius' Ausbildung schreitet ebenfalls voran, es werden nicht nur Figuren, sondern auch Porträts modelliert, indem von Persönlichkeiten die Masken abgenommen werden. Mit der Zeit erwerben sie sich einen gewissen Ruhm, der sich nun auch finanziell niederschlagen soll.
Mit den Jahren ist Marie für Doktor Curtius eine gleichwertige Partnerin, die immer mehr seine Arbeit übernimmt und Figuren modelliert, während Curtius das Organisatorische übernimmt. Und er ist auch politisch aktiv und weiß durchaus seine Rolle zu spielen, als 1789 die Revolution ausbricht. Fortan kämpfen beide um ihre Existenz, ihre Freunde, ihre Familie und ihr eigenes Leben.
Lebendige Geschichtsstunde
Sabine Weiß ist mit der Wachsmalerin ein Roman gelungen, der den Leser so dicht wie selten zuvor an und in die Französische Revolution bringt. Die Ereignisse einmal von der "anderen Seite", also aus Sicht des einfachen Volkes betrachten zu können, ist eine schöne Art der lebendigen Geschichtsstunde, die der Leser hier präsentiert bekommt. Sabine Weiß versteht es, die Geschehnisse so zu schildern, als wäre man selbst dabei und auch die manchmal für uns undurchsichtigen politischen Verhältnisse werden gut dargestellt und lassen einen nicht vor Fremdwörtern im Regen stehen.
Die Lebensgeschichte der Marie Tussaud oder Grosholtz, wie sie ja vor ihrer Ehe hieß, bietet spannende Unterhaltung, vor allem vor dem Hintergrund der Französischen Revolution. Doch auch bereits vor den politischen Umwälzungen macht Marie zahlreiche Bekanntschaften, die so manch anderer auch gerne gemacht hätte. Sei es, dass sie im Alter von 16 Jahren Voltaire eine Maske abnehmen durfte oder nur drei Jahre später die Kunstlehrerin der Schwester des Königs Ludwigs XVI. am Hof von Versailles wurde und dort neun Jahre bis zum Ausbruch der Revolution blieb - diese und mehrere Begegnungen sind die - reale - Würze eines Romans, der den Leser hervorragend in der Zeit zurückversetzt. Auch andere historische Persönlichkeiten treten in Maries Leben, wie etwas Robespierre. Da sie jedoch allen zunächst für ihr Kabinett eine Lebendmaske abnimmt und später gezwungen wird, ihnen die Totenmaske (und wenn es nur vom abgetrennten Schädel ist) abzunehmen, bekommt ihr Beruf etwas sehr Bitteres. Allerdings hilft er auch, am Leben zu bleiben, weil man gebraucht wird.
Holperige Strukturen, aber guter Erzählstil
Die Charaktere sind größtenteils klar gezeichnet, wenn auch manchmal recht oberflächlich. Gerade der Teil mit Maries Freundin Laure hätte noch mehr und stärker ausgebreitet werden können. Dass Maries Gefühlsleben mehr mit dem Geschäft als mit Zwischenmenschlichem erfüllt ist, liegt wohl in ihrer Natur, lässt dafür aber die wenigen wirklich privaten Momente noch privater erscheinen.
Etwas unkoordiniert wirken die Zeitsprünge, in denen die Geschichte forterzählt wird. Diese sind zum Teil derart unangekündigt, dass man verwirrt feststellt, wieder drei Jahre weiter zu sein, obwohl der vorherige Erzählteil noch nicht endgültig verarbeitet wurde. Hier wirkt der Roman doch etwas holperig und könnte durch eine klarere Kapitelstruktur geglättet werden.
Marie in England, leider nicht in diesem Buch
Schade ist auch, dass das Buch an der Stelle endet, wo es eigentlich erst richtig interessant wird, nämlich mit dem Kennenlernen des Herrn Tussaud und der Flucht nach England. Zwar wird in einem Nachwort erklärt, dass dieses Buch sich auf die Zeit vor England bezieht und dass diese Ereignisse größtenteils durch Maries eigene Aufzeichnungen belegt sind. Vielleicht aber gelingt es der Autorin, einen Folgeroman zu verfassen, der ihre Zeit in England und die Entwicklung ihrer Kabinette beschreibt. Auch das wäre sicherlich einige Buchseiten wert.
Alles in allem ist aber ein Roman entstanden, der den Leser sehr gut tief in die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts eintauchen lässt und sehr farbenfroh das Leben in Frankreich und seine Kultur erzählt. Es gibt Hochs und Tiefs, Grausamkeiten und schöne Erlebnisse, genau wie das Leben so spielt. Und die Französische Revolution ist selten so lebendig gewesen wie hier.
Sabine Weiß, Schröder
Deine Meinung zu »Die Wachsmalerin«
Wir freuen uns auf Deine Meinungen. Ein fairer und respektvoller Umgang sollte selbstverständlich sein. Bitte Spoiler zum Inhalt vermeiden oder zumindest als solche deutlich in Deinem Kommentar kennzeichnen. Vielen Dank!