Die Zärtlichkeit der Wölfe
- Goldmann
- Erschienen: Januar 2007
- 2
- Goldmann, 2006, Titel: 'The Tenderness of Wolves', Originalausgabe
Faszinierende Mischung aus Kriminal-, Abenteuer-, Gesellschafts- und Liebesroman
Kanada, im Winter 1867: Über den kleinen Ort Dove River ist der Winter hereingebrochen, als der Pelzhändler Laurent Jammet ermordet und skalpiert in seiner Hütte aufgefunden wird. Zeitgleich verschwindet Francis, der stille, eigenbrötlerische Adoptivsohn des Ehepaares Ross, so dass er bei den Bewohnern schnell in Verdacht gerät, etwas mit dem Mord zu tun zu haben. Der Friedensrichter des Ortes ruft Vertreter der Hudson Bay Company zur Hilfe bei der Aufklärung des Mordes herbei. Einer dieser Vertreter nimmt die Verfolgung von Francis auf, der andere bleibt im Ort um dort Nachforschungen anzustellen. Schon bald findet sich ein zweiter Verdächtiger: William Parker, ein Halbblutindianer. Als es diesem gelingt zu fliehen, schließt sich ihm Mrs. Ross an, um ebenfalls den Spuren ihres Sohnes zu folgen.
Klirrende Kälte, einsame Weiten, Pelzhandel und Ureinwohner
Die Krimihandlung um den Mord an Laurent Jammet bildet die Rahmenhandlung von Stef Penneys Erstlingswerk. Doch das Buch ist weit mehr als ein Krimi, es ist vielmehr ein Portrait des Lebens und der gesellschaftlichen Zustände im Kanada der damaligen Zeit. Dove River ist ein junger Ort, gerade einmal etwas über zehn Jahre alt. Fast alle Bewohner stammen nicht aus Kanada, sondern sind aus anderen Ländern zugewandert. Somit bestehen durchaus Animositäten und Vorurteile gegenüber den Nachbarn, die ein anderes Ursprungsland haben als die anderen. Zudem wird misstrauisch beäugt, wer von "der Norm" abweicht. Außerdem spielt das Geschäftsgebaren der Hudson Bay Company, die mit allen Mitteln bestrebt ist, ihre Vorherrschaft im Pelzhandel zu erhalten und die Jagd nach seltenen, verschwunden Pelzen, eine Rolle. Auch das Verhältnis der Einwanderer zu den Ureinwohnern sowie das jahrelang zurückliegendeVerschwinden zweier Mädchen aus Dove River ist Thema dieses Romans.
Stef Penney schreibt in einer nüchternen, klaren Sprache, die die Einsamkeit des Landes, die überwältigende Landschaft und die bittere Kälte dem Leser hervorragend näher bringt. Umso erstaunlicher ist das Ganze, da die Autorin aufgrund von Panikattacken und Agoraphobie nie selber in Kanada war, sondern alles in der British Library recherchiert hat.
Viele Handlungsstränge, viele Akteure
Bereits am Anfang werden rasch viele verschiedene Personen eingeführt, die im weiteren Verlauf der Erzählung immer wieder eine Rolle spielen. Das kann anfangs leicht verwirrend sein, denn es fordert Konzentration und Aufmerksamkeit vom Leser. Der größte Teil der Geschichte wird aus Sicht von Mrs. Ross in der Ich-Perspektive erzählt. Doch viele Kapitel sind auch aus Sicht diverser anderer Protagonisten in der dritten Person erzählt. Dadurch gewinnt der Leser Einblick in andere Denk- und Sichtweisen und erfährt Dinge, die sich in Mrs. Ross Abwesenheit ereignen. Ungewöhnlich und anfangs auch unvertraut ist die Tatsache, dass das Buch konsequent im Präsens erzählt wird, was eine gewisse Eingewöhnungszeit braucht.
Die verschiedenen Handlungsstränge laufen zum Teil nebeneinander her, zum Teil berühren oder kreuzen sie einander. Obwohl die Spannung durch die verschiedenen Fäden der Geschichte fast durchwegs aufrechterhalten wird, gibt es gerade im Mittelteil einige Längen, die etwas Durchhaltevermögen vom Leser fordern, doch es lohnt sich. Am Ende werden viele Dinge aufgelöst, andere bleiben offen und der Phantasie des Leser überlassen. Doch es ist ein Schluss, der zum Buch passt. Ein rosarotes Happy-End wäre einfach nicht glaubwürdig und würde diesem Werk nicht gerecht. Ebenso sind die verschiedenen Liebesbeziehungen in diesem Buch nicht mit der rosaroten Brille geschrieben worden, sondern mit leisen, realistischen Tönen. Gerade das allerdings lässt sie zum Teil umso mehr zu Herzen gehen.
Wer in diesem Buch einen reinen Kriminalroman erwartet, wird enttäuscht werden. Wer sich aber für das Land in dieser Zeit und die gesellschaftlichen Zustände interessiert, wer nicht unbedingt ein Happy-End für ein gutes Buch braucht und wer keine Auflösung bis ins kleinste Detail voraus setzt, der ist hier richtig beraten. Er wird mit einem ungewöhnlichen, faszinierenden Roman belohnt werden, der einem lange, kalte Winterabende unterhaltsam verkürzt.
Stef Penney, Goldmann
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