Das Marzipanmädchen

  • Droemer-Knaur
  • Erschienen: Januar 2007
  • 8
  • Droemer-Knaur, 2007, Titel: 'Das Marzipanmädchen', Originalausgabe
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Rita Dell'Agnese
871001

Histo-Couch Rezension vonDez 2007

Ein gut gezeichnetes Bild der wirtschaftlichen Entwicklung im ausgehenden 19. Jahrhundert! 

Nach dem unerwarteten Tod ihres Bruders muss die blutjunge Marie Kröger ihrem Traum - Ballerina zu werden - entsagen und das väterliche Geschäft übernehmen, eine Süssbäckerei. Zunächst scheint es, als ob sich Marie nach und nach dem ausdrücklichen Wunsch ihres Vaters entzieht und die Führung des Unternehmens dem Geschäftsleiter Achim Oeverbeck überlässt. Erst als sie erfährt, dass die Qualität des Krögerschen Marzipans - einst Stärke des Unternehmens - stark nachgelassen hat, besinnt sie sich auf ihre neue Aufgabe.

Sehr zum Missfallen Oeverbecks, der die junge Frau immer mal wieder drängt, ihm das geheime Familienrezept für das Marzipan zu überlassen. Marie fasst sich ein Herz und reist, allen Widerständen zum Trotz, nach St. Petersburg an den Zarenhof, um Aufträge für den Betrieb zu sichern. Auf der Fahrt kommt sie dem Weinhändler Thomas Hansen näher, sie lernt aber auch den zurückhaltenden Sohn eins Fischkonservenfabrikanten kennen. Beide Männer machen der selbstbewussten Marie den Hof, wobei Thomas Hansen stets eine rätselhafte Distanz wahrt. Auch Achim Oeverbeck möchte seine Chefin, die ihm nach einem Eklat im Betrieb alle Befugnisse entzieht, heiraten. Doch Marie, deren Liebe dem freiheitsliebenden Thomas gehört, winkt ab. Sie hat sich ganz dem väterlichen Betrieb verschrieben und unternimmt alles, um auch in Krisenzeiten keine Leute entlassen zu müssen und die Zustände in den Elendsquartieren von Lübeck zu verbessern.

Auf dem Sterbebett fordert ihr Vater sie auf, Christian Andresen zu heiraten, obwohl sie sich nach wie vor nach Thomas verzehrt ... Der befreundete Arzt, dem sie ihr Herz ausschüttet, rät ihr: ";Wenn der, den du liebst, nicht bei dir ist, liebe den, der bei dir ist ..." Marie muss sich entscheiden.

Grundlage für den Wohlstand

Die Geschichte von Marie liest sich spannend und eingängig. Lena Johannson verzichtet darauf, ihre Protagonistin mit außergewöhnlichen Fähigkeiten auszustatten, sondern zeichnet ein Bild von einer selbstbewussten Tochter aus bürgerlichem Hause, die ihre Schwächen und Eitelkeiten ebenso erlebt wie ihre Stärken. Nichts Übernatürliches ist die Grundlage für das unübertreffliche Marzipan aus der Bäckerei Kröger, sondern ein Familienrezept, das über Generationen hinweg geheim gehalten worden ist. Wer sich mit der Wirtschaft früherer Jahrhunderte beschäftigt, kann mühelos nachvollziehen, wie wichtig die Geheimhaltung des Rezeptes für den Unternehmenserfolg war. Oft war es nur diese Geheimhaltung, die den Wohlstand ganzer Regionen sicherte. Mit ein paar wenigen Sätzen entzaubert Lena Johansson schließlich das Geheimnis um das Marzipan und stellt klar, was den einmaligen Geschmack ausmacht. Doch ist es wohl genau diese Entzauberung, die dem Buch seine Tiefe gibt. Bevor noch eine mystische Verklärtheit den Blick aufs Wesentliche trüben könnte, lenkt Lena Johannson auf den richtigen Weg zurück.

Einblick in Klassen-Unterschiede

So erfolgreich Marie mit ihrem Marzipan ist, so stark ist auch ihr soziales Gewissen entwickelt. Sie nimmt den Leser mehrfach mit in die Abgründe des Lübecker Armenviertels. Sie beschönigt nichts, sonder lässt zu, dass die Klassenunterschiede Marie - und damit dem Leser - in aller Deutlichkeit bewusst werden. Und, obwohl sich Marie längst schon außerhalb ihrer eigenen Firma für die Arbeiter einsetzt, gibt es keine Möglichkeit, diese Unterschiede zu beseitigen. Denn Marie muss zwangsläufig an der Selbstgefälligkeit der Unternehmer scheitern. Alles andere hätte der Geschichte geschadet. Lena Johannson bewegt sich während der ganzen Zeit nämlich auf dem schmalen Grat zwischen Nachvollziehbarkeit und Fantasiewelt. Es gelingt ihr, diesen Grat niemals zu verlassen, sondern glaubwürdig den Kampf von Marie für bessere soziale Zustände aufzuzeigen. Vieles kann sie bewirken, obwohl sie als Frau weder Stimmrecht hat noch die uneingeschränkte Anerkennung der ausschließlich männlichen Unternehmerschaft genießt. Weil Marie als zukunftsorientierte Geschäftsfrau mehr als einmal Klippen umschifft, wird ihr Respekt gezollt und doch bleibt sie Außenseiterin, die, wenn es hart auf hart geht, verlieren muss.

Verzicht auf Kitsch

Streng genommen ist ";Das Marzipanmädchen" eine Liebesgeschichte. Aber eine, die ohne Kitsch und fast ohne die inzwischen nahezu inflationären Erotikszenen auskommt. Die Autorin schärft den Blick des Lesers für das feine Gefüge des Wirtschaftslebens Ende des 19. Jahrhunderts. Sie bestückt eine eingängige Entwicklungsgeschichte mit Protagonisten, die alle menschlichen Gefühle durchleben. Und sie verzichtet nicht nur auf Kitsch, sondern auch darauf, schwarz-weiß zu malen. Marie entscheidet nicht immer richtig, wenn auch für den Leser immer nachvollziehbar. Hier ist allerdings die einzige Schwäche des Buches auszumachen: Der wirtschaftliche Erfolg der Bäckerei Kröger wird in etwas gar zu rosigen Farben geschildert.

";Das Marzipanmädchen" ist ein ausgesprochen gut konzipiertes und gelungenes Debüt einer Autorin, die wohl noch verschiedentlich aufhorchen lässt. Und es ist - auch wenn der Titel das vermuten lässt - kein ausgesprochener Frauenroman.

Das Marzipanmädchen

Lena Johannson, Droemer-Knaur

Das Marzipanmädchen

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