Gottesstreiter

  • dtv
  • Erschienen: Januar 2006
  • 1
  • dtv, 2004, Titel: 'Bozy bojownicy', Originalausgabe
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Volker Faßnacht
581001

Histo-Couch Rezension vonDez 2007

Zu viel des Guten

Die Hussitenkriege

Mit der Verbrennung des tschechischen Reformators Jan Hus auf dem Konzil zu Konstanz am 6. Juli 1415, obwohl diesem sicheres Geleit zugesagt worden war, begann ein Aufstand, der 4 Jahre später zum ersten Prager Fenstersturz führte und schließlich in einem vom Papst Martin V. proklamierten Kreuzzug und offenen Schlachten zwischen den katholisch-böhmischen Königen und den reformatorisch-hussitischen Anhänger gipfelte.

Die Kämpfe, die von beiden Seiten mit großer Grausamkeit geführt wurden und die ab 1424 auf hussitischer Seite unter Andreas Prokops Kommando standen, waren fast ausnahmslos verheerende Niederlagen für die katholischen Truppen. Im Jahr 1428 gingen die "Unbesiegbaren Hussiten" zum Angriff auf katholische Bastionen über. Zahlreiche Klöster und Städte wurden geplündert und niedergebrannt.

Ein tollpatschiger Anti-Held gerät zwischen alle Fronten

In diese turbulente Zeit - von Anfang 1427 bis Ende 1428 - setzt der Autor Andrzej Sapkowski seine bereits aus dem Vorgänger-Roman bekannte Figur des Reinmar von Bielau, genannt Reynevan, ein. Reynevan ist ein tollkühner junger Casanova, der nichts anderes im Sinn hat, als sich für den Tod seines Bruders zu rächen, gleichzeitig jedoch hofft, seine geliebte Nicoletta wiederzusehen und seinem Freund Samson aus seiner verzauberten Gestalt zu verhelfen. Nebenbei ist er auch noch Medicus, den Hussiten zugetan und an jeglicher Magie interessiert. Somit schafft er sich alle nur erdenklichen Probleme gleichzeitig. Verliebt und naiv gerät er so zum Spielball der Mächtigen, der Inquisition, zum Lockvogel und zum Agenten wider Willen.Wobei das "wider seines Willens" so auch nicht ganz stimmt, lässt er sich doch allzu einfach vereinnahmen und in seinem jugendlichen Leichtsinn zu allerlei Blödsinn verleiten und in Gefahrensituationen bringen.

Langatmig, verwirrend und zu sehr gedrechselt

Dass der Roman Gottesstreiter erst nach ungefähr 300 Seiten langsam an Fahrt gewinnt, mag der Tatsache geschuldet sein, dass ein Kriminalroman nun einmal langsam beginnt, die verschiedenen Handlungsstränge zu entwickeln und zusammen zu führen. Trotzdem ist der Roman anfangs zu zusammenhangslos - der rote Faden des Romans wechselt innerhalb eines Kapitels von einem Handlungsstrang zum anderen hin und her - und berichtet über teilweise ganz erschreckend belanglose Dinge:

 

 

Seht doch mal aus dem Fenster, edle Herren. Was seht Ihr da, worauf fällt Euer Blick? Auf die Scheune, antwortet Ihr, was der Wahrheit entspricht, und auf den Abtritt dahinter. Aber was ist da weiter, frage ich, [...]? So merkt denn auf: Wenn ich die Maid frage, die eben mit den Krügen herbeieilt, wird sie antworten, dass hinter dem Abtritt ein Stoppelfeld ist, hinter dem Stoppelfeld Jachyms Anwesen, [...]. Wenn ich unseren Wirt frage, der mir etwas weltläufiger erscheint, dann wird er hinzusetzen, dass dies noch lange nicht das Ende ist [...]. Aber merkt auf, umso weltgewandter die Menschen sind, die ich befrage, wie zum Beispiel Euch, desto weiter entfernen wir uns von unserer Scheune, dem Abtritt und den beiden Geißhügeln - denn einem weltgewandten Verstand ist wohl bekannt, dass auch hinter Festenberg die Welt nicht zu Ende ist, denn dahinter liegen Oels, Brieg, Falkenberg, Neisse, Leobschütz, Troppau, Jitschin, Trentschin, Neutra, Esztergom, Buda, Belgrad, Ragusa, Janina, Korinth, Kreta, Alexandria, Kairo, Memphis, Ptolemais, [...]. Und auch dort ist sie beileibe noch nicht zu Ende. Folgt man hinter Theben dem Nil, der als Fluss Gihon einer Quelle im irdischen Paradies entspringt [...]. Aber auch in diesem Ozean gibt es noch Inseln - Cathay, Taprobane, Bragine, [...]. Was sagt Ihr, frommer Bruder des heiligen Dominicus? Aha, dass es langsam Zeit wird, mit dem Geschwafel aufzuhören und mit meiner Erzählung fortzufahren? Zu Reynevan, Scharley, Samson und den anderen zurückzukehren? Ihr habt Recht, Bruder. Es wird Zeit. Ich komme also darauf zurück.

 

Sapkowskis unendliche Aufzählungen unausprechlicher Namen - ob es sich hierbei um Ortsnamen oder Namen von Personen handelt, sei dahingestellt - sein übertriebener Hang zu lateinischen Phrasen und slawischen Liedern (die zwar im Anhang erklärt werden, jedoch, wer mag denn ständig nachschlagen, was diejenige Stelle nun wieder bedeuten könnte?), verbunden mit der leider zu häufig bis gänzlich unnötigen Verwendung von Fantasy-Elementen, erschwert, nein verleidet dem Fan historischer Romane das Lesevergnügen. Zumal natürlich bei dem vorliegenden massiven Einsatz von diversen Zauberdingen die Frage erlaubt sein muss, ob Gottesstreiter überhaupt als historischer Roman bezeichnet werden kann.

Auch - und das dürfte ob der vorgenannten Kritik schon nebensächlich sein - erscheint der Erzählstil des Romans manchmal zu modern und teilweise auch einfach unpassend:

 

 

Im Hintergrund schlägt Europa Purzelbäume, nimmt die Hacken zusammen und quietscht in den Kurven.

 

Während es dann andererseits viele Stellen im Buch gibt, die eher in einer Art historisierender, oftmals zu sehr gedrechselten Schreibe daher kommen.

Spannende Passagen und ganz bestimmt ein für die Fangemeinde lesenswerter 2. Teil im zweiten Roman der Reynevan-Trilogie

Trotzdem, und das darf man dem vorliegenden Roman sicherlich zugute halten: Er mag in der zweiten Hälfte durchaus zu fesseln. Man möchte ab einem bestimmten Punkt doch wissen, wie die Geschichte weitergeht. Gewiss findet auch die verwendete Sprache und der verwegene Stil des Genre-Mix seine Anhänger. Wer den ersten Teil Narrenturm gemocht hat, wird auch diesen Teil lieben.

Ein Roman für die breite Masse, vor allem all jenen, die einen rein historischen Roman erwarten, ist mit Gottesstreiter nicht wirklich gut geraten.

Gottesstreiter

Andrzej Sapkowski, dtv

Gottesstreiter

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